Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns

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29. Albrecht Dürer. 
Mauer und der Holzwand, die Dächer, die Tür- und Fensterstürze, sie laufen 
alle unter sich parallel und scheinen daher zu konvergieren. Legen wir ein 
Lineal an, so finden wir auch, daß sie sich schneiden würden in einem Punkte, 
der etwa im unteren Drittel der Toröffnung im Hintergründe liegt. Die 
Hohe dieses Augenpunktes im Bilde ist abhängig vom Standpunkt des Be¬ 
schauers; je weiter dieser in der Wirklichkeit von der Linie entsernt ist, die der 
Künstler als vorderen Bildrand bestimmt hat, desto niederer liegt er. In 
unserem Falle stehen wir also ziemlich nah. Daher kommt es auch, daß wir 
z. B. in die Wiege hineinschauen, daß wir die Oberseite von Josephs Beil er¬ 
blicken und auf die Engelkinder von oben herabsehen. 
Für Dürer lag eine so starke Betonung der perspektivischen Mittel sehr- 
nahe. Nicht immer waren sie nämlich bekannt. Dürers Vorgänger hatten 
nur eine schwache Ahnung von ihnen. Dagegen hatten die Italiener, gestützt 
auf ihre mathematischen Studien, sie schon hundert Jahre früher gefunden 
und gerade diese Kenntnis hatte der italienischen Kunst ihre große Überlegen¬ 
heit über die des Nordens verliehen. Dürer nun hatte die Kenntnis der 
Perspektive von italienischen Künstlern und Theoretikern erlernt und sie zuerst 
in das deutsche Kuustlebeu eingeführt. Kein Wunder, daß er sich nun dieses 
neuen Könnens besonders freut und es dem Beschauer recht deutlich vor 
Augen führen will. 
Da sind wir nun bei einem wichtigen entwicklungsgeschichtlichen Moment 
angelangt, bei der Raumgestaltung Dürers. Denn hierin liegt die Stellung 
des einzelnen Künstlers zum Fortschritt der Gesamtkunst. Auffassung, Ge¬ 
danken, Kraft der Darstellung wechseln nach Persönlichkeiten und Zeiteinflüssen; 
die Raumgestaltung aber schreitet ununterbrochen fort, von den ersten Anfängen 
der mittelalterlichen Malerei, wo einzelne Heiligengestalten als körperlose 
Fläche aus teppichartigem Grunde gezeichnet worden, bis zu den Deckenmalereien 
des Barock, die in unermeßlichen Weiten schwelgen. Bei Dürer sehen wir 
einen wichtigen Abschnitt vollendet: die Linearperspektive. Dürer ist imstande 
jeden Raum vollkommen einwandfrei zu zeichnen und die einzelnen Gegen¬ 
stände und Personen in beliebiger Entfernung vom vorderen Bildrande richtig 
anzubringen. In diesem Punkte war über ihn hinaus kein Fortschritt mehr 
möglich. In anderer Hinsicht aber ist Dürer noch unfertig, tu der Luft¬ 
perspektive. Durch die Brechung der Luft nämlich verschwimmen die Farben 
in einer gewissen Entfernung vom Beschauer und zwar manche früher als 
andere. Die Reihenfolge, nach der dies geschieht, entspricht genau der Farben¬ 
folge des Sonnenspektrums: die roten Töne verschwimmen zuerst, die blauen 
zuletzt. Dies Gesetz ahnten wohl die Maler schon vor Dürer; sie malen die 
Berge des Horizontes blau und dämpfen lichte Tone, je weiter sie vom Vorder¬ 
grund entfernt sind. Richtig erforscht wurde das Zusammenwirken der Farbe 
jedoch erst nach Dürers Zeit und deshalb muten uns seine Bilder viel alter¬ 
tümlicher an als alle seine schwarz-weißen Werke.
	        
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