Full text: Bilder aus dem Weltkrieg (Teil 1)

Aus der Zeit des zweiten Nuffeneinfalls in Ostpreußen. 
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wenn er nicht als dummer Junge seine Hand in eine Häckselmaschine gesteckt 
und einen seiner Finger, der zum Laden eines Gewehres unentbehrlich ist, ver¬ 
stümmelt hätte. Er hatte also nie des Kaisers Rock getragen und verstand 
nichts von militärischen Dingen. Das wurde sein Unglück. 
Als die Russen im November 1914 zum zweiten Male in Ostpreußen 
einfielen, mußte er mit Weib und Kind wie alle anderen Bewohner des 
Dorfes schleunigst fliehen und seine herrliche Wirtschaft mit den reichsten 
Wintervorräten, so und soviel Stück Vieh, Schweinen, Gänsen und Hühnern 
im Stich lassen. Nur sein alter Vater wollte nicht mit, sondern auch unter 
den Russen zur Abwartung des Viehes und Fortführung der Wirtschaft bleiben. 
Ein lebensmüder Greis fürchtet den Tod auch aus Feindeshand nicht. 
Und so floh denn Jankowski auf einem mit starken Pferden bespannten 
Planwagen, darunter Weib und Kind saßen, im langen Flüchtlingszuge zu¬ 
nächst nach der Kreisstadt Angerburg. Schon unterwegs fiel ihm so manches 
ein, was er mitzunehmen vergessen hatte. Einige geschlachtete Gänse und 
Hühner hätten immer noch Platz gehabt. Auch sonst manches schöne Haus¬ 
gerät hätte man mitnehmen können. Dann fiel ihm weiter ein, daß er so 
manches dem Alten auf die Seele zu binden vergessen hatte: Den Schweinen 
nur nicht zu heißes Fressen zu geben, das jüngste Kalb von der bunten Kuh 
bald zu entwöhnen und es nicht unter 25 Mark an den Fleischer zu verkaufen. 
Ja, es war so viel zu bedenken. Auf das schwarze Huhn, welches immer 
die Eier in verborgene Winkel legt, war aufzupassen. Ach, was hätte er dem 
Alten nicht alles noch ans Herz zu legen gehabt! Die Flucht war zu hastig 
gekommen. 
In der Stadt Angerburg faßt er zufällig in seine Westentasche und 
findet — o weh! — den Speicherschlüssel. Ach, was nun? Die Pferde 
können keinen Hafer, die Kühe und Schweine nicht Kleie bekommen. 
„Mutter," sagt er zu seiner Frau, „ich muß wieder zurück. Bleibe 
hier mit den Kindern und warte auf mich, bis ich wieder hier bin. Ich muß 
dem Alten den Speicherschlüssel abgeben und auch noch manches sagen wegen 
dem Kalb, dem Schwein und auch dem schwarzen Huhn." — 
Ein Soldat, den er auf der Straße fragt, ob er wohl nach seinem Dorfe 
zurückkehren könne und ob die Russen wohl schon dort seien, gibt ihm den 
Rat, aufs Etappen-Kommando zu gehen und sich einen Ausweis zu holen. 
Freund Jankowski schüttet dem Etappen-Kommando seine Herzens¬ 
angelegenheiten aus, findet aber kein Gehör. Der Erlaubnisschein wird ihm 
verweigert. Er zeigt den Speicherschlüssel, schildert die Not seines Viehes — 
nichts macht auf die hohe Militärbehörde Eindruck. Da denkt Jankowski in 
seinem citin: „Wer hat mir was zu befehlen? Ich bin kein Soldat, sondern 
ein masurischer Bauer. Ich gehe, wohin ich will. Donnerwetter, ich werde 
doch wohl in mein eigenes Haus gehen können!" 
Und so wandert er trotzig aus der Stadt zur Heimat. Unterwegs bei 
Dtr. sieht er unsere Schützengräben, und auf der Chaussee steht ein deutscher 
ooldat. „Ich werde nicht so dumm sein, den Patrouillen in die Arme zu 
laufen. Ich schleiche mich hinter jenem Gebüsch rechts den Berg herab und
	        
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