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dieses Titels auf. Es war keine Wahl, die, wie im alten römisch-deutschen
Reiche, durch herkommen, Gunst oder Vorteil wäre bestimmt worden;
nicht durch Zufall oder Glück wurde König Wilhelm deutscher Kaiser;
er hat die Kaiserkrone durch unsterbliche Waffentaten erkämpft. Rm
18. Januar 1871, dem Tage, da vor 170 Jahren das preußische König*
tum gestiftet worden war. fand die feierliche Wiederaufrichtung
des Deutschen Kaiserreiches statt. Vor den Mauern des seinem
Falle nahen stolzen Paris, zu Versailles in dem Schlosse Ludwigs XIV.,
der stets auf Deutschlands Erniedrigung und Zersplitterung ausgegangen
war, in dem mit den Zahnen des siegreichen Heeres geschmückten Spiegel-
saale versammelten sich deutsche Fürsten, Heerführer, Staatsmänner und
Krieger um den König von Preußen, ctls am Schlüsse des Festgottes-
dienstes der Lobgesang verklungen war, verlas der König die Urkunde
des Kaiserreiches und nach ihm der Bundeskanzler Graf Bismarck
die Ansprache des Kaisers an das deutsche Volk. Mit lauter Stimme
rief der Großherzog von Baden: „hoch lebe Seine Majestät der Kaiser
Wilhelm!" und die ganze Versammlung stimmte dreimal begeistert ein.
3. das Deutsche Volk." Des Kaisers Ansprache an das
deutsche Volk aber lautet: „wir Wilhelm, von (Bottes Gnaden König
von Preußen rc. rc. Nachdem die deutschen Fürsten und Freien Städte
den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des
Deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende Kaiser¬
würde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung
des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind,
bekunden hiermit, daß wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame
Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen
Fürsten und Freien Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde
anzunehmen. Demgemäß werden wir und Unsere Nachfolger an der
Krone Preußens fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Be¬
ziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen und
hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter
dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segens¬
reichen Zukunft entgegenzuführen, wir übernehmen die kaiserliche
Würde mit dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte
des Reiches und seiner Glieder zu schützen, den Frieden zu wahren, die
Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines
Volkes, zu verteidigen, wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem
deutschen Volke vergönnt sein wird, den söhn seiner heißen und opfer-
mutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu