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Zeit gekommen war, daß sie mit Aussicht auf Gelingen den Rachezug
gegen die Normannen rüsten konnte. Da rotes sich keiner träge, als
sie die Helden zu sich entbot. Jeder tat sein Bestes, und als alle bei¬
sammen waren, bildeten sie ein so gewaltiges Heer, daß an dem Steg
über die Feinde nicht zu zweifeln war. Doch klopfte manchem in
Sorge das herz, ob sie Gudrun noch am Leben oder vielleicht als
Gattin Hartmuts antreffen würden. Noch hatte der lvinter nicht Ab¬
schied genommen, da lichteten sie die Anker und fuhren ins wilde
BTeer hinaus. Manches Ungemach hatten sie unterwegs zu bestehen,
bevor sie die Küste der Normandie erreichten. Der Abend senkte sich
hernieder, als sie, von einem Walde gedeckt, vor Anker gingen. Nun
hielten die Fürsten Rat, wie sie die Feinde am besten überlisten und
Gudrun lebend befreien sollten. Da erbot sich der junge Grtwein,
beim Anbruch des nächsten Tages auf Kundschaft zu fahren, ob er
vielleicht etwas erspähen ober der Schwester ein Zeichen geben könnte.
Sogleich bot sich ihm Herwig als Begleiter an.
7. Das wiedersehen. An demselben Morgen standen Gudrun
und Hildburg bei ihrer gewohnten Arbeit am Strande. In der Nacht
war tiefer Schnee gefallen, und ein eisiger Märzwind fegte über die
Fluren. Trotzdem hatten sie in aller Frühe hinausgemußt, ja die
böse Gerlinde hatte ihnen nicht einmal Schuhe und wärmere Kleiber
gegeben. Barfuß mußten sie baher im Schnee stehen, ber IDinb zer¬
zauste ihre leichten Kleiber unb ihr haar, unb sie erschauerten vor
Frost. IDeinenb tauchten sie bie hänbe in bas kalte Meereswasser,
unb ber aufspritzend Schaum burchnäßte ihr Gewanb. Da sahen sie
einen Nachen mit zwei Männern auf sich zukommen. Erschreckt wollten
sie von bannen fliehen, benn sie schämten sich ihres Aufzugs. Die
Fremben aber hatten sie schon erblickt unb riefen ihnen bittend zu,
baß sie stehen blieben. Mit freunblichetn Gruße, wie ihn bie Armen
lange nicht gehört, sprangen bie Männer ans Ufer unb begannen Zu
fragen, wes bas £anb unb bie Burgen. Unb als sie bariiber Auskunft
erhalten, forschten sie weiter: „Ist euch nicht eine Jungfrau namens
(Bubrun bekannt, bie vor Jahren in bas £anb gebracht ist?" — „U)ohl
haben wir sie gekannt," entgegn et e bie Gesuchte selber; „übel ist es ihr
ergangen, vor Gram unb Herzeleib liegt sie nun schon lange tot.
Bei biesen U) orten brachen bie Fremben in bittere Tränen aus, unb
Herwig klagte laut: „B)eh mir, baß ich solche Kunbe vernehmen muß
Meine Verlobte war (Bubrun. Der Ring hier an meinem Finger hat
mich zu steter Treue gegen sie gemahnt." Da flog ein seliges Lächeln