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baten die süddeutschen Fürsten, daß durch Aufnahme ihrer Staaten der
Norddeutsche Bund zu einem Deutschen Reiche erweitert werde.
2. Der deutsche Kaiser. Wie das alte Reich deutscher Nation
zu seinem Haupte den Kaiser hatte, so sollte im neuen Reiche die im
Gedächtnis des Volkes allezeit bewahrte Kaiserwürde wieder aufleben.
Und diesmal widerstrebten die deutschen Fürsten nicht, wie im Jahre
1849. Nein: der jugendliche König Ludwig II. von Bayern
forderte im Namen aller deutschen Fürsten und Freien Städte König
Wilhelm den Siegreichen von Preußen zur Übernahme dieser
Würde auf. Es war feine Wahl, die, wie im alten römisch-deutschen
Reich, durch Herkommen, Gunst ober Vorteil wäre bestimmt worden;
nicht burch ein Geschenk bes Zufalls ober durch eine Gabe des Glücks
wurde König Wilhelm Deutscher Kaiser. Allvernehmlich und allver¬
ständlich hatte Gottes Stimme auf den Schlacht- und Siegesfeldern
geredet; im heiligen Kampfe für des Vaterlandes Rettung hatte sich
der Heldenkönig die Kaiserkrone burch unsterbliche Waffentaten er¬
kämpft unb erfiegt. Am 18. Januar 1871, bem Tage, ba vor 170
Jahren bas preußische Königtum gestiftet worben war, fanb bie feier¬
liche Wieberaufrtchtung bes Deutschen Kaiserreiches
statt. Vor bett Mauern bes seinem Falle nahen stolzen Paris, zu Ver¬
sailles in bem Schlosse Lubwigs XIV., ber stets auf Deutschland Er-
niebrigung unb Zersplitterung ausgegangen war, in bem mit bett
Fahnen bes siegreichen Heeres geschmückten Spiegelsaale versammelte
sich ein Kreis beutscher Fürsten, Prinzen, Heerführer, Staatsmänner
unb Krieger um ben König von Preußen. Als am Schlüsse eines fest¬
lichen Gottesbienstes ber Lobgesang verklungen war, verlas ber König
bie Urkunde bes Kaiserreiches, unb nach ihm ber Bunbeskanzler Graf
Bismarck bie Ansprache bes Kaisers an bas beutsche Volk. Mit
lauter Stimme rief ber Großherzog von Baben: „Hoch lebe Seine
Majestät ber Kaiser Wilhelm!" unb bie ganze Versammlung
stimmte dreimal begeistert ein.
3. „An das deutsche Volk." Des Kaisers Ansprache an das
deutsche Volk aber lautet: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König
von Preußen rc. rc. Nachdem die deutschen Fürsten und Freien Städte
den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des
Deutschen Reiches die seit mehr denn sechzig Jahren ruhende Kaiser¬
würde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung
des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen
sind, bekunden hiermit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemein-
St tt brä, Erzählungen aus der Weltgeschichte. IT. Ausg. B. 13