Full text: Erzählungen aus der Weltgeschichte

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ergangen, vor Gram unb Herzeleid liegt sie nun schon lange tot." Bei 
diesen Worten brachen die Fremden in bittere Tränen aus, und 
Herwig klagte laut: „Weh mir, daß ich solche Kunde vernehmen muß! 
Meine Verlobte war Gudrun. Der Ring hier an meinem Finger hat 
mich zu steter Treue gegen sie gemahnt." Da flog ein seliges Lächeln 
über des Mägdleins bleiches Antlitz, und sie sprach: „Das Ringlein 
ist mir bekannt, vor Zeiten war es mein; seht hier ein anderes, das 
mir einst mein Trauter gegeben." Da jauchzte Herwig auf und hielt 
die Geliebte in seinen Armen. Dann küßte auch Ortwein die Schwester 
und hieß sie erzählen, was sie erlitten. Ingrimmig vernahmen beide 
von Gerlindens Bosheit, und Herwig wollte die Braut nicht wieder 
zu der Peinigerin zurückkehren lassen, sondern sie alsbald in der Barke 
zu den Freunden führen. Dem widersprach aber Ortwein: „Das sei 
ferne von uns! Erkämpfen wollen wir, was uns durch Waffengewalt 
zeraubt ist, aber nimmer heimlich es stehlen. Und welche Ehre brächte 
es uns, wenn wir diese zwei entführten, ihre Gespielinnen aber 
Gerlindens Rache überließen!" Und wie traurig Gudrun darüber 
auch war, er blieb bei feinem Wort und empfahl der Schwester sich 
ja nicht durch vorzeitige Freude zu verraten. Aus dem Kahn rief ihr 
Herwig zu: „Sei getrost und weine nicht! morgen, bevor die Sonne 
aufgeht, siehst du uns wieder. Mit vieltausend tapfern Kriegern werden 
wir dann vor der Burg stehen und dich mit Ehren heimführen." Da¬ 
mit fuhren die Männer davon. 
8. Gudruns List. Lange schauten ihnen die Jungfrauen nach 
und standen selbstvergessen in wonnigem Entzücken, träumten von der 
Zukunft und der Heimat und verbrachten in seligem Geplauder die 
Stunden. Hildburg erinnerte sich zuerst wieder der Wirklichkeit und 
machte sich eifrig ans Werk, das Versäumte nachzuholen. Gudrun 
aber sprach: „Königsarme haben mich heute umfangen, nun will ich 
nicht mehr waschen, was mir auch darum geschehe." Und sie warf 
ihre Wäsche ins Meer, daß die Wellen sie von dannen trugen. Die 
Königin aber hatte vom Fenster erschaut, daß die Mägdlein am Ufer 
säumig waren, und empfing sie mit Scheltworten; und als fte gar 
hörte, daß Gudrun die Wäsche ins Meer geworfen habe, ließ sie die 
Jungfrau ergreifen und an ein Bett binden, um sie zu züchtigen. Da 
sprach Gudrun listig: „Wenn ihr mich jetzt schlagt, so schändet ihr da¬ 
mit eure Schwiegertochter, denn ich habe mich entschlossen eures 
Sohnes Gattin zu werden." Gerlinde traute ihren Ohren kaum und 
ließ eilig Hartmut herbeirufen. Freudig kam der und wollte die Ge- 
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