Full text: Erzählungen aus der Weltgeschichte

9- Gerichtstag. Dre Grafengerichte der karolingischen Zeit haben 
sich in Deutschland brs zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts, an ein¬ 
zelnen Orten wert darüber hinaus erhalten. Dreimal im Jahre in der 
Regel wurde wegen Verbrechen gegen Leib und Leben, Hof und Habe 
im echten Drng" verhandelt. Vor das „unechte", „gebotene" Dina 
gehörten die leichteren Vergehen. Unsere Darstellung folgt einem über¬ 
lieferten genauen Berichte über ein Gericht zu Usedom. Die Ding¬ 
stätte ist unter freiem Himmel, unter einer uralten Eiche. Haselgerten, 
in die Erde gesteckt und mit roter Schnur verbunden, bilden die Hegnng.' 
Ernst thront der Richter auf hohem Steinsitze vor aufgehängtem Schilde, 
das Gesicht nach Osten, das rechte Bein übers linke geschlagen, den 
werßgeschälten Stab in der Hand. Solange der Richter so sitzt, ist das 
Gericht gehegt. Klopft er mit dem Stabe, so gebietet er Ruhe; legt er 
ihn nieder, so ist das Gericht geschlossen. Dem Richter zur Seite sitzen 
die Schöffen, bte Urteiler. Vor ihnen, zu ihrer Rechten, steht der Kläger, 
das Antlitz gen Norden; gegenüber der von ihm selbst geladene Verklagte; 
ringsum sieht man dingpflichtige Hofbesitzer des Gerichtsbezirkes. Alle find 
m Waffen nach dem Rechte freier Männer. Dem Richter gegenüber 
steht der Dingbote. Eben erhebt der Kläger seine Klage, auf das blutige 
Gewand am Boden weisend. Gelingt es dem trotzig dreinblickenden Ver¬ 
klagten nicht, sich durch Zeugen oder Eideshelfer zu reinigen, so wird er 
hohes Wergeld zahlen müssen, denn ein Freier war es, den er erschlaaen 
haben soll. 
, 10. Ausritt zum Kreuzzugk. Das Bild zeigt uns den inneren 
Hof eines Grafen- oder Fürstensitzes. Der alte Burgherr steht mit seiner 
trauernden Gattin und dem jüngsten Töchterlein auf der Freitreppe des 
steinernen Palastes mit den romanischen Bogenfenstern. Vor ihnen steht 
der Beichtvater der Familie, der den jungen Grafen in dem Entschlüsse, 
das Kreuz zu nehmen, gestärkt hat. Gattin und Söhnlein nehmen den 
letzten Abschied von dem in eine ferne, unbekannte Welt ziehenden Ritter. 
Ein Edelknabe in enganliegendem Beinkleide hält das prächtige Streitroß 
dessen Decke das Wappen des Herrn trägt. Der Graf und feine Lehens¬ 
leute tragen nicht den Eisenpanzer späterer Zeit, sondern über einem 
Ledergewande den älteren Ringelpanzer und darüber einen ärmellosen 
Überwurf, an dessen Gürtel das Schwert hängt. Den Kopf bedeckt über 
der ledernen Hirnkappe oder der Ringelkapuze eine Eisenhaube mit oder 
ohne Naseuband, auch wohl ein breitrandiger Eisenhut. Die Brust der 
Kreuzfahrer schmückt das Kreuz. Die junge Gräfin trägt ein golddurch- 
wirktes Seidenkleid mit kostbarem Gürtel, auf dem zusammengebundenen 
Haare das „Gebäude" der verheirateten Frau aus Schleier und Kopftuch, 
darüber einen mit edeln Steinen besetzten Stirnreif. — Das von festem 
Turme überragte Tor, durch das die Lehensleute des Grafen einziehen, 
führt auf den äußeren Hof des Herrensitzes. Dort stehen die Wirtschafts¬ 
gebäude, die Stallungen für die Rosse und Rinder, die Scheunen, die 
Wohnungen der diensttuenden Kriegsleute und des Gesindes. Links sieht 
man den Oberbau des tiefen Burgbruuueus mit der Eimerwinde. — Mit 
dem Rufe: „Gott will es" verläßt der Reiterzug die Burg.
	        
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