fullscreen: Sang und Spruch der Deutschen (Band 3)

126 
Deutsche Dichter von Luther bis Klopstock. 
[30] 
Der Eifer war mehr Ernst als Schein, 
und unser täglich Himmelsschrein 
hat etwan auch viel Plagen 
des Vaterlands verschlagen. 
s- Wie ernstlich war ich dort ein Christ! 
wie brannt' oft mein Verlangen, 
dich, der du unser Heiland bist, 
persönlich zu umfangen! 
Wie freudig dacht' ich an den Tod! 
Ach Gott, gedenk einmal der Not, 
vor die ich, als ein Knabe, 
vorausgebetet habe. 
»- Mit was vor Liebe, Trost und Treu 
konnt eins das andre klagen, 
wenn etwa blinde Tyrannei 
das Stiefkind hart geschlagen! 
Wir stritten leicht; doch aller Streit 
war stündliche Versöhnlichkeit, 
und von der Eltern Gaben 
mutzt jeder etwas haben. 
10. Jetzt lern ich, leider allzufrüh, 
des Lebens Elend kennen; 
es ist doch nichts, als Wind und Müh, 
wornach wir sehnlich rennen. 
Es gaukeln Reichtum, Stand und Kunst; 
die Wollust macht nur blauen Dunst. 
Und was wir so begehren, 
mutz allzeit Reu gebären. 
11. Mein eignes Kreuz ist überhaupt 
ein Bündnis aller Schmerzen 
und geht mir, weil es niemand glaubt, 
empfindlich tief zu Herzen. 
Ach. Himmel, mindre meine Qual! 
Wo nicht, so latz mich doch einmal 
nur eine Gunst erwerben 
und mehre sie — zum Sterben. 
» 
Albrecht von Haller. 
Mit dem berühmten Berner Gelehrten Albrecht von Haller (1708—1777; er war in den vierziger Jahren 
Professor in Göttingen) beginnt nach dem Verfall der schlesischen Schule eine neue Zeit für die deutsche 
Dichtung. Er gibt der Poesie wieder einen grotzen Stoff und würdigen Inhalt: die erhabene Natur seiner 
Alpenheimat und die Probleme seiner Wissenschaft. 
64. Sehnsucht nach dem Vaterland. 
i. Beliebter Wald! beliebter Kranz von 
Büschen, 
der Haselshöh mit grünem Schatten 
schwärzt, 
wann werd' ich mich in deiner Schotz er¬ 
frischen, 
wo Philomel' auf jedem Zweige scherzt! 
Wann werd ich mich auf jenen Hügel legen, 
dem die Natur das Moos zum Teppich 
schenkt; 
wo sonst sich nichts als rasche Blätter regen 
und jene Bach, die Gäbels Gründe tränkt! 
3- Hier mutz ich mich mit stätem Kummer 
schlagen, 
die Ruh ist mir ein unbekanntes Gut; 
mein Geist versinkt in immer neuen 
Plagen; 
ich weitz noch nicht, wie Ruh und Freude 
tut. 
Entfernt vom Land, da ich das Licht 
gesehen, 
entblötzt von Hilf, von Eltern und von Rat 
seh' ich mein Schiff in stätem Sturm ver¬ 
wehen, 
nie, wo es soll, und stäts aus Andrer Gnad. 
Ach Himmel! Latz mich doch die Täler 
küssen, 
wo ich den Lenz des Lebens zugebracht 
und beim Geräusch kristallner Wasser¬ 
güssen 
aus einen Reim von Sylvien gedacht, 
wo schwaches Laub, belebt von Westen- 
Winden, 
die matte Seel' in sanfte Wehmut bringt 
und in dem Frost niemals bestrahlter 
Gründen 
die Nachtigall ein reizend Schlaslied singt. 
». Bald schleicht ein Weh durch meine 
matte Glieder, 
bald schadet mir ein blutverwandter Feind, 
bald fällt der Bau von meiner Hoffnung 
nieder, 
bald sterben die, die es noch gut gemeint, 
bald reitzt die Flut durchs Schutt zer- 
rissner Dämmen, 
womit der Tod an unsre Wälle schwimmt, 
bald will uns Mars mit Flammen über¬ 
schwemmen, 
davon der Tacht schon in der Asche glimmt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.