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aus der Welt geschieden war. In den Herzen der Preußen aber
ist das Bild des „einzigen Friedrich" lebendig geblieben
bis auf den heutigen Tag.
44. Kaiser Joseph II.
1. Josephs Menschenfreundlichkeit. — Die
Kaiserin Maria Theresia von Österreich war bereits sechs Jahre
vor Friedrichs des Großen Tode gestorben. Eine Fürstin von
Einsicht und großer Herzensgute, hatte sie 40 Jahre auf dem
Throne gesessen und mit landesmütterlicher Sorge für die
Wohlfahrt ihrer Unterthanen gewirkt. Ihr Sohn, der Kaiser
Joseph II., folgte ihr als Beherrscher der österreichischen
Staaten. Der war ein Bewunderer Friedrichs des Großen und
strebte nach dem Ruhme, für Österreich zu werden, was Friedrich
für Preußen war. Ein Kriegsheld, wie dieser, ist er freilich
nicht geworden; aber an menschenfreundlicher Gesinnung, an
Eifer für seines Volkes Glück ist ihm selten ein Fürst gleichge¬
kommen. Die Standesunterfchiede achtete er sehr gering und
suchte sie auszugleichen und aufzuheben. Mit besonderer Liebe
nahm er sich des Bauernstandes an, den er von dem harten
Drucke der Leibeigenschaft befreite. Zum Beweise, wie hoch er
die Beschäftigung des Landmannes schätze, trat er einst auf
einer Reise durch Mähren zu einem Bauer, der aus dem Felde
pflügte, ergriff den Pflug, und ackerte selbst eine Strecke Landes.
Auch der Geringste im Volke durfte frei zu dem Kaiser kommen
und mit ihm reden. Den bisher nur den Vornehmen zugänglichen
Augarten in Wien öffnete er allem Volke zur Belustigung, und
setzte über den Eingang die Worte: „Allen Menschen gewidmet
von ihrem Schätzer." Als sich einige feine Herren bei dem
Kaiser beschwerten, daß sie nun kein Plätzchen mehr hätten, wo
sie ganz ungestört unter ihresgleichen sich vergnügen konnten,
erwiderte Joseph: „Wenn ich nur unter meinesgleichen fein
wollte, so müßte ich in die Kaifergruft der Kapuzinerkirche
hinuntersteigen und dort unter meinen toten Ahnen leben."
2. Josephs Absichten unb Erfolge. — In
feinem weiten Reiche machte Joseph große Verärgerungen,