Full text: Erzählungen aus der deutschen Geschichte

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fangen." Da blieb dem verwegenen Eroberer, der nie dem 
Feinde gewichen, nur noch der Rückzug übrig. 
3. Napoleons Rückzug aus Rußland. — Es 
war ein schrecklicher, grauenvoller Rückzug. Der Weg führte 
weithin durch umvirtbare Landstriche, die, durch den Krieg 
völlig verödet, keine Lebensmittel, keinen Rastplatz darboten. 
Ungewöhnlich früh fiel der strengste Winter ein. Nun stieg die 
Not immer höher. Menschen, Pferde und Wagen blieben im 
Schnee stecken; Hunger und Frost forderten Tag für Tag zahl¬ 
reiche Opfer. Bald sah man Haufen von Erstarrten an der 
Heeresstraße liegen, überall umgestürzte Kanonen, weggeworfene 
Waffen, zurückgelassene kostbare Beutestücke! Dazu kamen noch 
unaufhörliche Angriffe der nachsetzenden russischen Reiter, die 
den erschöpften Feinden keine Ruhe gönnten und ganze Scharen 
von Nachzüglern gefangen nahmen und niedermachten. An der 
Berefina erreichte das Elend seinen Gipfel. Napoleon ließ 
zwei Brücken über diesen Fluß schlagen, und die Truppen be¬ 
gannen hinüberzurücken. Aber plötzlich erschienen die Russen 
und feuerten Schuß auf Schuß in die dichten Haufen. Da ent¬ 
stand eine unbeschreibliche Verwirrung. Alles stieß und drängte, 
um sich über die Brücken zu retten; viele wurden in dem fürchter¬ 
lichen Durcheinander zerdrückt und zertreten, viele von den 
Rädern der Kanonen und Wagen zermalmt, viele in den brau¬ 
senden Eisstrom hinabgestürzt. Endlich brachen die Brücken 
zusammen: Tausende versanken in den Fluten, und alle, die 
noch am andern User waren, wurden abgeschuitteu und gefangen. 
Napoleon, der jetzt sein Heer verloren sah, eilte auf einem 
Bauernschlitten vou dannen, um in Paris neue Rüstungen zu 
betreiben. Von da an schwand alle Zucht und Ordnung im 
Heere: Soldaten aller Abteilungen liefen wild durcheinander, 
jeder dachte nur an seine Rettung. Die wenigsten Reiter hatten 
noch Pferde; über die gefallenen Tiere stürzten die Hungrigen 
her und verzehrten sie mit Gier. Fiel ein Soldat, so rissen 
ihm seine Kameraden die Kleiber vom Leibe, um sich damit 
Hände und Füße zu umwickeln. Hatten sich die Halberfrorenen 
ein Feuer angezündet, so jagten die heranstürmenden Kosaken
	        
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