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unerwartet vor Gottes Richterstuhl getreten wärest?" Darüber
bestürzt und in sich gekehrt, beschloß er, der Welt zu entsagen
und sein Leben Gott zu weihen.
4. Luther im Kloster. — Er ging daher ins
Augustinerkloster zu Erfurt und ward Mönch. Sein alter Vater,
der gewünscht hatte, daß er ein Rechtsgelehrter werde, war über
diesen Schritt anfänglich sehr verdrossen. Der arme Luther
hatte es im Kloster auch wirklich recht schlimm. Er wurde zu
den niedrigsten Diensten verwendet, mußte die Thüren hüten,
die Kirche kehren, die Zellen fegen und mit dem Sack auf dem
Rücken in der Stadt umherziehen, um für das Kloster zu
betteln. Aber er fügte sich in das alles in Demut und Furcht
Gottes. Mit größtem Eifer las er in der heiligen Schrift,
wenn auch die Klosterleute darüber murrten und sprachen:
„Ei, Bruder Martin, nicht mit Studieren, sondern mit Betteln
dienet man dem Kloster." Weil er aber Tag und Nacht
studierte und Betete und sich dabei mit Wachen und Fasten
kasteite und marterte, so war er stets betrübt, und all sein
Messelesen wollte ihm keinen Trost geben. Da schickte ihm
Gott einen alten Klosterbruder zu; der stärkte sein verzagtes
Herz, indem er ihn hinwies auf das Hauptstück des Glaubens,
in dem es heißt: „Ich glaube an eine Vergebung der Sünden."
Gleicherweise richtete ihn auch auf der ehrwürdige Vorsteher
der Augustinerklöster in Deutschland, Johannes Staupitz. Der
ermahnte ihn herzlich, sein Heil allein in Christo zu suchen,
und sprach tröstend zu ihm: „Du weißt nicht, Martin, wie
nützlich dir solche Anfechtung ist; Gott schickt sie dir nicht ver¬
gebens, und du wirst sehen, daß er dich einst noch zu großen
Dingen brauchen wird." Seit der Zeit, und jemehr er die
heilige Schrift im Zusammenhange las, wurde es immer heller
und ruhiger in ihm.
5. Luthers Berufung nach Wittenberg und
Reise nach Rom. — Da Staupitz die große Gelehrsamkeit
Luthers kannte, empfahl er ihn dem Kurfürsten von Sachsen
zum Lehrer an der neu errichteten Universität zu Wittenberg.
Im Jahre 1508 trat Luther diese Stelle an. Er erwarb sich