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die Würde eines Doktors der heiligen Schrift, und die Vor-
trefflichkeit seiner Lehre, bei welcher er immer von der Bibel
ausging, bewirkte, daß Jünglinge von nah und fern herbei¬
eilten, um ihn zu hören. Nicht geringer war das Aufsehen,
das seine Predigten erregten; denn er predigte kräftig im Geiste
der heiligen Schrift, und was er sagte, das kam ihm aus dem
Herzen. Wichtig für ihn wurde eine Reise, die er um diese
Zeit nach Rom machte. „Nicht tausend Goldgulden möchte ich
dafür nehmen," sagte er selber, „daß ich Rom nicht sollte ge¬
sehen haben." Denn hier am Sitze des Papstes lernte er das
tiefe Verderben kennen, in welches die Kirche gesunken war.
Wie erstaunte er über die unglaubliche Unwissenheit der Priester
und Mönche! Selten fand er einen, der die heilige Schrift
auch nur dem Namen nach kannte. Und welch sittenloses Leben
führten sie! Wie leichtfertig plapperten sie in der Kirche die
Gebete her, als geschehe es um Lohn! Da war keine Spur von
einer Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit. Das
betrübte den frommen Luther sehr, trieb ihn aber auch desto
mehr zum Worte Gottes. Nach Wittenberg zurückgekehrt, setzte
er sein Forschen in der Schrift mit emsigem Fleiße fort und
wartete seines Amtes mit aller Treue. Da berief ihn Gott
plötzlich zu einer größeren Wirksamkeit.
31. Der Anfang der Reformation.
1. Tetzel, der Ablaßkrämer. — Im Jahre 1517
geschah es, daß der Papst Leo X., der zum Bau der prächtigen
Peterskirche in Rom ungeheure Geldsummen brauchte, einen
allgemeinen Ablaß ausschrieb. Unter Ablaß verstand man ur¬
sprünglich die Erlassung von Strafen, welche die Kirche auf
grobe Sünden gelegt hatte. Allein der Verfall der Kirche war
jetzt so groß geworden, daß man glaubte, sich Erlaß der Sünden
sür Geld erkaufen zu können. Daher zahlten die Leute an die
Ablaßverkäufer, welche der Papst ins Land schickte, gerne Geld,
da sie dann wegen ihrer Sünden beruhigt waren. So zog jetzt
ein Mönch Namens Tetzel in Sachsen umher, um dem Papste
Ablaßgelder einzusammeln. Er trieb sein Geschäft auf die un-