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Die Franken bis zum Untergange der Merowinger.
diese zweite Macht, der das römische Reich erlag. Die Religion Christi
wich darin von allen heidnischen Religionen ab, daß sie sich keinen welt¬
lichen Zwecken unterordnen wollte. Zwar waren die Christen die gehor¬
samsten Unterthanen, aber sie opferten nicht vor den Bildern der Kaiser
und ließen sich zu nichts zwingen, was wider ihr Gewissen war. Die
blutigsten Verfolgungen, die gräßlichsten Martern, mit denen man den
treuen Bekennern Christi zusetzte, hatten keineswegs die Verbreitung des
Evangeliums gehindert, sondern sie im Gegenteil nur gefördert. Es blieb
dem römischen Staat nichts übrig, als den neuen Glauben anzuerkennen;
und von dem Augenblick an, wo dies geschah, gab sich der antike Staat
unwissentlich selbst verloren. Der Kamps der beiden sich grundsätzlich gegen¬
über stehenden Mächte dauerte zwar noch eine Zeitlang fort, aber der end¬
liche Sieg mußte der lebensfrischen über die altersschwache, überlebte zu¬
fallen. Der antike Staat ruhte ganz und gar aus dem Grundsätze, daß
der einzelne Mensch nur um des Staats willen da sei und daß sein Wert
nach seiner Bedeutung für den Staat ausschließlich bemessen werden dürfe;
daher das Egoistische, Tyrannische, Absolutistische des römischen Staats.
Das Christentum mit seinen erhabenen Lehren von Nächstenliebe und Selbst¬
entäußerung erkannte diese Tyrannei nicht an; es erkannte nicht mehr
den Bürger allein, sondern den Menschen an sich und damit auch den
Sklaven und den Barbaren als ein Kind Gottes an, das ebensoviel Recht
auf Liebe und Schutz wie der Kaiser selbst beanspruchen darf, wenn es nur
glaubt. Wohl blieb diese Lehre nicht rein von menschlichen Einflüssen,
nämlich dann, wenn der Staat irgendwie der Religion obsiegte; die Er¬
hebung des Christentums zur Staatsreligion war zwar ein äußerer Sieg,
aber im Grunde eine innere Niederlage des Christentums; und wenn in
Byzanz Staat und Kirche sich enger verbanden, so mußten beide Einbuße
erleiden; es konnte sich der alte Staat in widerlich entstellter Gestalt aller¬
dings noch lange halten; aber dabei unterlag eben auch die wahre Religion,
und unter der Despotie der griechischen Kaiser bildete sich ein neuer Kultus,
der weit mehr Römisch-Heidnisches in sich barg, als seine Anhänger glaubten.
Viel reiner erhielt sich die weströmische Kirche, aber sie konnte dies nur,
weil sie aufstieg, während der weströmische Staat zusammensank.
Seitdem das Christentum als Staatsreligion anerkannt war, brachen
nun bekanntlich in seinem Innern heftige Streitigkeiten aus, die auch das
römische Reich nicht wenig erschütterten. Vor allem war es der Streit
über das Verhältnis der beiden Naturen in Christo, eine Frage, die
eigentlich kein Menschenverstand lösen kann, die aber doch entschieden werden
mußte, weil der Zweifel, den Arius an der Gottgleichheit Christi aus¬
gesprochen hatte, eine Grundlage des christlichen Glaubens zu erschüttern
drohte. Nachdem endlich die arianische Lehre als Ketzerei (325) verworfen