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Alle Mühseligkeiten waren vergessen. Die Kreuzfahrer jauchzten
und weinten vor Freuden; sie warfen sich nieder und küßten
dm geweihten Boden.
Jerusalem war stark befestigt und wurde von 60 000 Mann
wohl verteidigt. Nun fehlte es den Kreuzfahrern an Be¬
lagerungswerkzeugen. Holz zu denselben fand man erst in weiter
Ferne. Bald stellte sich ein furchtbarer Wassermangel ein,
wozu sich auch Mangel an Lebensmitteln gesellte. Da erschien
im Hafen von Joppe eine genuesische Flotte, welche Nahrungs¬
mittel und geschickte Werkleute zum Bau von Belagerungs¬
werkzeugen mitbrachte.
Am 14. Juli wurde nach 39tägiger Belagerung ein
Sturm gewagt, aber von den Belagerten mutig zurückgeschlagen.
Am folgenden Tage, nachdem vom Ölberge her die Erscheinung
eines Ritters, der seinen blitzenden Schild schwenkte, die Christen
ermutigt hatte, wurden die Mauern abermals angegriffen und
genommen. Herzog Gottfried betritt aus seinem Belagerungs-
turme zuerst die hohe Mauer, die Seinen folgen. Sie öffnen
die Thore, und mit dem Rufe: „Gott will es! Gott hilft!"
dringen die Sieger in die Stadt.
Nun begann ein entsetzliches Morden, besonders in Omars
Moschee. Kaum darf man die Sieger Christen nennen.
Tausende wurden von ihnen in der ersten Wut dahin¬
geschlachtet. Das Blut floß in Strömen. Viele töten ihre
Opfer unter Martern, weder Greise, noch Weiber, noch Kinder
werden verschont. Zugleich erwacht die Gier nach Beute;
alle Häuser werden geplündert.
Nur Gottfried hielt sich von diesen Greueln frei. Er ging,
wohin das Herz ihn rief. Gleich nach Eroberung der Stadt
war er mit wenigen Gefährten zum heiligen Grabe gegangen.
Barfuß, ohne Helm und Panzer kniete er dort nieder, um Gott
für den errungenen Sieg zu danken. Unterdessen dauerte das
Morden noch zwei Tage fort. Nur die Besatzung des Turmes
David erhielt freien Abzug. Erst am dritten Tage reinigten
sich die Eroberer vom Blute und zogen in weißen Gewändern
nach dem heiligen Grabe. Dort sielen sie auf ihre Kniee und
dankten Gott mit Freudenthränen und Lobgesängen.
Der fromme Gottfried von Bouillon wurde als der
Würdigste zum Könige von Jerusalem erwählt. Aber bescheiden
lehnte er den königlichen Titel ab und nannte sich nur „Be¬
schützer des heiligen Grabes". „Wie sollte ich," sprach er,
„dort eine goldene Krone tragen, wo mein Erlöser eine Dornen-