90 Die deutsche Einigung unter Preußens Führung.
sein. Wollte es aber neben der Sicherheit nach außen auch noch
eine achtunggebietende Stellung innerhalb des Deutschen Bundes
einnehmen und sich nicht länger mehr von Österreich beeinflussen,
lassen, so mutzte es sich auf ein tüchtiges Heer stützen können.
Das hatte König Wilhelm längst ersannt, und darum richtete er
schon als Prinz-Regent zuerst sein Augenmerk auf eine Neugestal-
tung der preußischen Armee.
Seit den Befreiungskriegen war das preußische Heer nicht mehr
vermehrt worden, obgleich sich die Bevölkerung fast verdoppelt hatte.
Es wurden alljährlich immer nur 40 000 Mann ausgehoben; darum
konnte eine große Menge junger Leute, die wohl tauglich waren,
nicht eingestellt werden. Diejenigen aber, welche gedient hatten,
mußten bis zum 40. Lebensjahre bei der Landwehr bleiben. Im Falle
eines Krieges konnte es daher vorkommen, daß viele Tausende von
Familienvätern sogleich als Landwehrleute mit ins Feld rücken
mußten, während eine große Anzahl junger und kräftiger Leute, die
eben nicht ausgebildet waren, zu Hause blieben. Außerdem war aus
der gesetzlichen dreijährigen Dienstzeit aus Sparsamkeitsrücksichten
allmählich eine zweijährige geworden. Diese Übel stände wollte der
König schon als Prinz-Regent beseitigen. Durch das neue Heeres¬
gesetz von 1860 beabsichtigte er eine genaue Durchführung
der allgemeinen Wehrpflicht. Statt der bisherigen 40 000
sollten in Zukunft alle Jahre 63 000 Mann zu dreijähriger Dienst¬
zeit einberufen werden; die Dienstzeit für die Reserve wurde ver¬
längert und die für die Landwehr dagegen verkürzt. Für die neuen
39 Infanterie- und 10 Kavallerieregimenter war aber eine jähr¬
liche Mehrausgabe von 30 Millionen Mark nötig. Diese Summe
bewilligte der Landtag zunächst auch in der Voraussetzung, daß es
nur vorübergehend sei wegen eines damals drohenden Krieges mit
Frankreich; aber der Prinz-Regent wollte die Umgestaltung
dauernd machen.
Bei dieser Neubildung des Heeres hatte der König zwei treue
Helfer und Berater; den Kriegsminister Albrecht von Roon und
den General Helmut von Moltke, den Leiter des Großen
Generalstabes. ~ ' »
AIs bann der Landtag 1862 die erforderlichen Mittel für die
Beibehaltung der bereits durchgeführten Heeresumgestaltmng ver¬
weigerte und verlangte, daß die ganze Einrichtung wieder beseitigt
ober wesentlich geänbert werbe, berief ber König den bisherigen Ge¬
sandten in Paris, Otto von Bismarck, an bie Spitze bes
Ministeriums nach Berlin. Das war der rechte Mann, und seine
Berufung wurde der entscheidende Wendepunkt in der Regierung