Frühere geringe Bildung in der Mark. 83
alten Heidenvölkern Deutschlands zum Christeuthum bekehrt worden; später
und langsamer, als in anderen Gegenden Deutschlands, hatte sich daher auch
christliche geistige Bildung in den Marken verbreitet. Unter den ballenstädti¬
schen Markgrafen war in dieser Beziehung zwar ein guter Grnnd gelegt wor¬
den, doch war derselbe zu schwach gewesen, um den Stürmen der trostlosen
baierschen und luxemburgischen Zeit zu widerstehen. Verwilderung und Ent¬
sittlichung hatten das ganze Volk von Neuem ergriffen und konnten durch die
Hoheuzolleru nur sehr allmälig wieder gemildert werden. Während in dem
größten Theil von Deutschland schon hohe und niedere Schulen aller Art er¬
blühet waren, welche die geistige Ausbildung der höheren Klassen auf erfreu¬
liche Weise beförderten, während die Hochschulen im Westen uud Süden sich
in lebhaftem Verkehr und Wetteifer mit den gelehrten Anstalten Frankreichs
und Italiens entwickelten, während der Geist wissenschaftlicher Wiedergeburt,
welcher im fünfzehnten Jahrhundert vom Süden her durch Europa wehete,
auch in jenen Theilen Deutschlands seine Stätte ausschlug, war die Mark
Brandenburg bis zum Beginn des sechszehnten Jahrhunderts allem wissen¬
schaftlichen Verkehr fast ganz fremd geblieben, und nur wenige Schulen dien¬
ten nothdürftig dazu, die künftigen Geistlichen mit den unentbehrlichsten
Kenntnissen für ihren Beruf auszurüsten. Als Kurfürst Joachim die Uni¬
versität Frankfurt gründete, sagte er selbst, daß Gelehrte in der Mark so
selten seien, wie weiße Raben. Wie hätte es auch anders sein können, da die
Geistlichkeit, von welcher die Anregung zur Bildung hätte ausgehen müssen,
zu tief gefunken war, als daß von ihr irgend ein wohlthätiger Einfluß hätte
erwartet werden können. Oester legte sie sogar der Errichtung von Schulen
außer ihren wenigen Dom- und Kirchenschulen absichtlich Hindernisse in den
Weg. Die Bildung unter den Geistlichen selbst war so gering, daß die Mönche
vieler Klöster oft das Wenige nicht verstanden, was sie lateinisch beteten und
fangen. Wie wenig gelehrte Kenntnisse und Beschäftigung in den Marken
verbreitet waren, geht auch daraus hervor, daß es fast gar keine Geschichts¬
schreiber gab, welche die Ereignisse im Zusammenhang aufzuzeichnen versucht
hätten.
Während nun Brandenburg bis zum Anfang des sechszehnten Jahrhun¬
derts hinter dem übrigen Deutschland so weit zurückstand, sehen wir das Land
in den darauf folgenden Zeiten schnell das Versäumte nachholen und von
Stufe zu Stufe nicht blos die sonstige deutsche Bildung sich aneignen, son¬
dern den meisten Ländern sogar voraneilen. In unsern Tagen ist es einer
der erhabensten Vorzüge des preußischen Volks, daß es nicht nur durch Wehr¬
haftigkeit und Kriegstüchtigkeit, sondern vor Allem auch durch den hohen
Stand seines geistigen Lebens sich eine große Bedeutung unter den europäi¬
schen Staaten errungen hat. Das ist eine Frucht der geistigen Entwickelung,
welche durch die Reformation angebahnt worden ist: das neue Leben, welches
damals zuerst auf religiösem Gebiet erwachte, mußte nach unb nach die Keime
aller geistigen Kraft entwickeln. Der Protestantismus wurde für Preußen,
wie für alle Staaten, in welchen er zur entschiedenen Herrschaft gelangte, ein
Förderungsmittel allseitigen geistigen Fortschritts, und wiewohl den aus¬
gezeichneten Fürsten, welche seit zwei Jahrhunderten auf Preußens Thron
geherrscht, der Ruhm gebührt, jenen Fortschritt an ihrem Theil auf alle