Full text: Geschichte des preußischen Vaterlandes

250 Religiöse Ansichten; Voltaire's Einfluß. 
Unter allen Schriftstellern seiner Zeit zog ihn keiner so an, wie der 
Franzose Voltaire, welche das Anmnthige, Leichte unb Verführerische der 
französischen Sprache in der höchsten Vollkommenheit besaß. Seine Schrif¬ 
ten waren durch Witz und geistvolle Darstellung, welcher man eben so leicht 
folgt, wie einer lebendigen Unterhaltung, in hohem Grade ausgezeichnet und 
übten einen großen Reiz auf Friedrich aus. Er ließ sich sehr bald mit Vol¬ 
taire in einen Briefwechsel ein. Dieser geistige Verkehr hatte nach und nach 
einen sehr großen Einfluß auf Friedrich's Denkungsweise, besonders in religiö¬ 
ser Beziehung. Wir haben schon gesehen, wie die Wahrheiten des christlichen 
Glaubens dem Kronprinzen in frühester Jugend durch die pedantische, trockene 
Belehrung und durch des Vaters schroffe Strenge verleidet worden waren. 
Der Eindruck, welchen dann in Küstrin die herzlicheren und wärmeren Vor¬ 
stellungen des Feldpredigers Müller auf Friedrich gemacht hatten, war sehr 
rasch wieder verflogen, und bald gab er sich von Neuem allen Zweifeln an 
den Heilswahrheiten hin. Selbst die ersten Grundlagen alles religiösen Glau¬ 
bens, die Ueberzeugung von dem Dasein Gottes und von der Unsterblichkeit 
der menschlichen Seele, wurden in ihm erschüttert; doch brachte ihn das Stu¬ 
dium ernsterer Schriften hierin wieder auf einen besseren Weg. „Ich bin 
jetzt überzeugt," schrieb er im Jahre 1736, „von der Unsterblichkeit meiner 
Seele; ich glaube an Gott und an den, welcher gesandt ward, die Welt zu 
erleuchten und zu erlösen; ich werde tugendhaft sein, so viel ich kann, dem 
Schöpfer die Anbetung widmen, die seine Kreatur ihm schuldig ist, und die 
Pflichten eines guten Bürgers gegen die Menschen, meines Gleichen, erfüllen, 
nicht als könnte ich mir den Himmel mit meinen Werken verdienen, sondern 
in der Ueberzeugung, daß Golt ein Wesen nicht ewig unglücklich machen kann, 
das ihm dankbar ist, weil er ihm sein Dasein gegeben." Leider war dieser 
Ansang religiösen Glaubens nicht kräftig genug, um den jungen Prinzen wei¬ 
teren Versuchungen widerstehen zu lassen; der Verkehr mit Voltaire aber trug 
dazu bei, ihn immer weiter von den christlichen Lehren abzulenken. Voltaire 
war zuerst nur gegen Mißbrauch und Heuchelei in religiöser Beziehung, so¬ 
wie gegen Herrsch- und Verfolgungssucht der Priester mit heftigen und bitteren 
Schriften aufgetreten. Aber er blieb hierbei nicht stehen, ließ es sich vielmehr 
vorzüglich angelegen sein, die philosophischen Lehren zu verbreiten, welche in 
England zuerst von dem berühmten Locke und in viel schlimmerer Art von 
dessen Nachfolgern aufgestellt worden waren. Letztere leugneten nicht nur die 
geoffenbarten christlichen Wahrheiten, sondern wollten überhaupt von den hö¬ 
heren, der menschlichen Vernunft eingeborenen religiösen Ideen Nichts wissen 
und nur das als wahr zugeben, was man mit den Sinnen und durch die Er¬ 
fahrung wahrnehmen könne. Diese gefährlichen Lehren, durch welche aller 
religiöse Glaube untergraben wurde, fanden besonders durch Voltaire's ge¬ 
fällige und glänzende Darstellung viel Eingang bei allen Nationen: überall 
machte sich diese sogenannte Aufklärung geltend, und man kam so weit, die 
Religion selbst nur als einen Betrug anzusehen, den einige Klügere erfunden 
hätten, um die große Menge der einfacheren Leute dadurch leichter zu beherr¬ 
schen. Voltaire besonders ließ seinen beißenden Witz an allen christlichen 
Lehren und Einrichtungen aus, und es gab nichts Heiliges, was er nicht 
herabzuziehen und zu schänden versucht hätte. Der Kronprinz Friedrich
	        
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