Object: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

84. Die Sahara. 
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der Straße laut ihre Sünden beichteten. Dabei wiederholten sich die Erschei¬ 
nungen, welche bei gleich schrecklichem allgemeinen Unglück auch an anderen 
Orten stattgefunden hatten. Hartherzige nahmen sich liebevoll solcher Mitmenschen 
an, die sie vorher kaum des Blickes gewürdigt hatten. Wiedererstattung eines 
früher gestohlenen Gutes wurde von Menschen versprochen, die niemals des 
Diebstahls beschuldigt gewesen waren, und Familien, die lange in Feindschaft 
mit einander gelebt hatten, versöhnten sich im Gefühl des allgemeinen Elends. 
Allein während dieses Gefühl bei den einen das Herz erweichte und dem Mit¬ 
leiden öffnete, brachte es eine entgegengesetzte Wirkung bei andern hervor, indem 
sie noch verstockter und unmenschlicher wurden und nur auf Raub und Plün¬ 
derung dachten. 
Die Erdstöße, welche in dem geringen Zeitraume von einer Minute die 
Stadt Caracas zertrümmerten, beschränkten sich nicht auf diesen Ort. Ihre ver¬ 
derblichen Wirkungen erstreckten sich längs der Küste auf die Provinzen Vene¬ 
zuela, Varinas und Marakaybo, und wurden noch deutlich in den Bergen des 
Innern verspürt. Manche Örter wurden fast gänzlich zerstört, und in der 
Provinz Venezuela allein fanden 20 000 Menschen einen plötzlichen Tod. 
A. v. Humboldt. 
84. Die Sahara. 
1>ie Sahara, die größte aller Wüsten — sie umfaßt etwa 150 000 Meilen, 
X? ist also 2/3 von Europa oder beinahe 3 mal so groß als das Mittelmeer 
— erstreckt sich vom Südabhange des Atlasgebirges und von dem Hochlande 
von Barka bis zum Niger und bis gegen den Tschadsee, und dehnt sich vom 
atlantischen bis zum arabischen Meere aus, im Osten nur durch den Nilstrom 
unterbrochen. 
Der größte Teil der Sahara ist eine vollkommene Ebene. Der Wanderer 
sieht nur die flache Ebene und die Himmelswölbnng, sowie der Seefahrende 
aus dem Weltmeere nur Meer und Himmel sieht. Keine Berge, keine Hügel, 
ja, weder Wald noch Gebüsch, keine menschliche Wohnung unterbricht die Aus¬ 
sicht auf diese ungeheure Fläche. Trifft man einen Gegenstand, z. B. ein Tier, 
einen Reisenden, so wird das Auge hinsichtlich der Größe der Entfernung, so 
wie auf dem Meere, getäuscht. Eine tiefe Stille ruht über der Wüste; man 
hört den geringsten Laut in einer für den Ungewohnten unbegreiflichen Ent¬ 
fernung ; und auch für den Sinn des Gehörs hält es hier schwer, Entfernungen 
zu schätzen. Ungeachtet also eine vollkommene Gleichheit der Hauptcharakter ist, 
so giebt es doch, besonders im östlichen Teile, Ausnahmen, indem sich der 
Erdboden hier zu Hügeln und Bergstächen erhebt, welche jedoch gewöhnlich von 
so großer Ausdehnung sind, daß man das Aufsteigen und die Senkung wenig 
bemerkt. In der Nähe der Stadt Ghat hat man indessen neuerdings auch 
große Felsengruppen und Klippen entdeckt, desgleichen sogar auch Granitberge, 
überhaupt Berge von mehr als 1 Kilom. Höhe, deren es weiter westlich noch 
mehrere geben soll. 
Man stellt sich die Wüste oft als ein ununterbrochenes Sandmeer vor, 
in welchem der Reisende im tiefen Sande waten muß. Dies gilt freilich von 
einem Teile, aber keineswegs von dem ganzen Gebiete, ja, vielleicht nicht ein¬ 
mal von dem größeren Teile der Wüste. An einzelnen Stellen ist die Ober¬
	        
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