Full text: Bilder deutscher Kultur und Geschichte

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voraus und legte durch das Schulgesetz von 1717 jedem Hausvater 
kurzab die Pflicht auf. seine Kinder in die Schnle zu schicken. Sehr 
langsam hat sich aus dein Boden dieses Gesetzes das preußische 
Volksschulwesen ausgebildet. Tie Entwickelung ward erschwert nicht 
bloß durch die Armut und Trägheit des Volkes, sondern auch durch 
die Schuld des Königs selber; denn alle Volksbildung ruht auf 
dem Gedeihen selbständiger Forschung und schöpferischer Kunst, und 
für das ideale Schaffen hatte Friedrich Wilhelm nur den Spott 
des Barbaren. 
Jetzt am wenigsten konnte die deutsche Nation ein Verständnis 
gewinnen für die seltsame Erscheinung dieses waffenstarken Staates, 
wie er so dastand, eine jugendlich-unreife Gestalt, knochig und sehnig, 
Kraft und Trotz im Blicke, aber unschön, ohne die Fülle der For¬ 
men, aller Anmut, alles Adels bar. Tie alte Abneigung der Teut¬ 
schen gegen das vordringliche Brandenburg wurde durch die böo- 
tische Rauheit Friedrich Wilhelms I. bis zu leidenschaftlichem Wider¬ 
willen gesteigert. Dem Historiker ziemt es nicht, die erschreckend 
grellen Farben unserer neuen Geschichte mit weichem Pinsel zu ver¬ 
mischen: es ist nicht wahr, daß dieser tiefe Haß der Nation nur 
verhaltene Liebe gewesen sei. Damals bildete sich in der öffent¬ 
lichen Meinung jene aus Wahrem und Falschem seltsam gemischte 
Ansicht vom Wesen des preußischen Staates, die in den Kreisen 
der deutschen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrscht hat 
und noch heutzutage nt der Geschichtschreibung des Auslandes die 
Oberhand behauptet. Dies Land der Waffen erschien den Teut¬ 
schen wie eine weite Kaserne. Nur der dröhnende Gleichtritt der 
Potsdamer Riesengarde, der barsche Kommandornf der Offiziere 
und das Jammergeschrei der durch die Gasse gejagten Deserteure 
klang aus der dumpfen Stille des großen Kerkers ins Reich hin¬ 
über; von den Segenswünschen, welche der dankbare litauische Bauer 
für seinen gestrengen König zum Himmel schickte, hörte Deutschland 
nichts. Der Adel im Reich sah eben jetzt goldene Tage. In Han¬ 
nover waltete das Regiment der Herren Stände schrankenlos, seit 
der Kurfürst im fernen England weilte; das sächsische Junkertum 
benutzte den Übertritt seines Königs zur römischen Kirche, um sich
	        
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