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Geschichten, diese großen Gottesthaten zu unserem persönlichen
Erleben werden. So lassen diese Maler den Herrn in das
Geschlecht unserer Tage treten und zwar unter die Verkom¬
mensten und Elendesten, — sein Abendmahl in ärmlicher Dach¬
stube halten, — die Kinder von der Straße zu Sich rufen,
— Jairi Töchterlein im schlichten, nordischen Bauernhaus er¬
wecken, als heiligen Leichnam in einer esthnischen Bauernstube
ruhen. — Heilige Naivität, anspruchslose Schlichtheit in diesen
Künstlern wichtiger als die Schönheit. Fast ängstlich vermeiden
sie holde Formen, — viel lieber sind sie herb und eckig. —
Was sollen wir dazu sagen? Wir wollten den ernsten, lau¬
teren Realismus Gebhardts gewiß achten, wollte ihm nur ein
weihevollerer Christus gelingen, ja wollte der Herr selbst nur
wirklich aus einer höheren Welt stammen. — So platzen die
Richtungen aufeinander. Die Zeit kühler Allgemeinheit — oder
schwächlicher Süßlichkeit und eleganter Glätte, sie hat sich über¬
lebt, — das fühlen wir. Herbe Wahrheit und ernstes Natur-
studium ist an die Stelle getreten. Hoffen wir, daß diese
Wahrheit auch bald den Bund mit der echten Schönheit wie¬
der schließen wird nnd die Künstler unserer Zeit es wieder
lernen, daß ohne hohe Idee, — aber auch ohne geweihte, ge¬
läuterte Form — kein echtes Kunstwerk bestehen kann; ja,
daß Kunst ist: Geistiger Gehalt in sinnlich wahrnehmbarer
Form, und ihr Ideal: daß sich vermähle schöne Form und
schöne Seele.
Edwin Evers, Brandenburgisch-preußische Geschichte. Berlin 1892.
— M. v. Bröder, Kunstgeschichte im Grundriß. Göttingen 1893.
— Otto Lyon, Deutsche Litteraturgeschichte. Bielefeld und Leipzig
1894.