Full text: Das Zeitalter Friedrichs des Großen, Deutschland in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Das Zeitalter Kaiser Wilhelms I. (Teil 4)

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Geschichten, diese großen Gottesthaten zu unserem persönlichen 
Erleben werden. So lassen diese Maler den Herrn in das 
Geschlecht unserer Tage treten und zwar unter die Verkom¬ 
mensten und Elendesten, — sein Abendmahl in ärmlicher Dach¬ 
stube halten, — die Kinder von der Straße zu Sich rufen, 
— Jairi Töchterlein im schlichten, nordischen Bauernhaus er¬ 
wecken, als heiligen Leichnam in einer esthnischen Bauernstube 
ruhen. — Heilige Naivität, anspruchslose Schlichtheit in diesen 
Künstlern wichtiger als die Schönheit. Fast ängstlich vermeiden 
sie holde Formen, — viel lieber sind sie herb und eckig. — 
Was sollen wir dazu sagen? Wir wollten den ernsten, lau¬ 
teren Realismus Gebhardts gewiß achten, wollte ihm nur ein 
weihevollerer Christus gelingen, ja wollte der Herr selbst nur 
wirklich aus einer höheren Welt stammen. — So platzen die 
Richtungen aufeinander. Die Zeit kühler Allgemeinheit — oder 
schwächlicher Süßlichkeit und eleganter Glätte, sie hat sich über¬ 
lebt, — das fühlen wir. Herbe Wahrheit und ernstes Natur- 
studium ist an die Stelle getreten. Hoffen wir, daß diese 
Wahrheit auch bald den Bund mit der echten Schönheit wie¬ 
der schließen wird nnd die Künstler unserer Zeit es wieder 
lernen, daß ohne hohe Idee, — aber auch ohne geweihte, ge¬ 
läuterte Form — kein echtes Kunstwerk bestehen kann; ja, 
daß Kunst ist: Geistiger Gehalt in sinnlich wahrnehmbarer 
Form, und ihr Ideal: daß sich vermähle schöne Form und 
schöne Seele. 
Edwin Evers, Brandenburgisch-preußische Geschichte. Berlin 1892. 
— M. v. Bröder, Kunstgeschichte im Grundriß. Göttingen 1893. 
— Otto Lyon, Deutsche Litteraturgeschichte. Bielefeld und Leipzig 
1894.
	        
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