Full text: Der moderne Geschichtsunterricht

Folgerungen aus den Fortschritten der Geschichtswissenschaft. 
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Diese genetische Methode, richtig erfasst, schliefst auch zugleich 
die Widerlegung einer heutzutage leider nur zu weit verbreiteten 
Meinung in sich, als ob man die Geschichte in sogenannten konzen¬ 
trischen Kreisen lehren könne, wie z. B. die Schwesterwissenschaft 
Geographie (München, Bayern, Deutschland, Europa, aufsereuropä- 
ische Erdteile u. s. w.); in letzterem Falle handelt es sich um ein 
»Nebeneinander« der Dinge und Verhältnisse, bei der Geschichte 
um ein »Nacheinander«. Die Verhältnisse der Gegenwart ent¬ 
wickeln sich im grossen und ganzen organisch aus denen der Ver¬ 
gangenheit ; daraus folgt, dass erstere ohne die letzteren gar nicht 
verstanden werden können. Da aber das Verständnis weitaus 
wichtiger ist als das bloss gedächtnismäfsige Wissen, so folgt daraus, 
dass ein logisch-genetischer Geschichtsunterricht immer mit der 
Geschichte der Vergangenheit, im speziellen Falle also immer mit 
der Geschichte des Altertums anfangen muss. 
Daraus folgt nun allerdings für den Geschichtslehrer eine 
methodische Schwierigkeit, die darin besteht, dass die Verhältnisse 
des Altertums, die unserem Verständnis ferner liegen, und deren 
Quellen viel weniger zahlreich und einseitiger, also unzuverlässiger 
sind u. s. w., gerade auf der untersten Altersstufe an die Schüler 
herangebracht werden müssen, bei einem Alter, wo naturgemäfs 
Verstand und Urteilsfähigkeit noch sehr wenig entwickelt sind. 
Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, ist die oben erläuterte 
Stoffbeschränkung, bezw. Stoffauswahl bei der Geschichte des Alter¬ 
tums noch sorgfältiger zu bethätigen als bei der späteren Geschichte ; 
soziale und wirtschaftliche Erörterungen sind auf ein dem Schüler 
verständliches Mindestmass zu beschränken; noch mehr gilt letztere 
Forderung für das rein kulturelle Gebiet (Kunst, Wissenschaft u. s. w.). 
Die Leistungen auf dem Gebiete der Wissenschaft werden sich nur 
selten streifen lassen, die auf dem Gebiete der Kunst in der Regel 
nur dann, wenn man sie anschaulich dem Schüler nahe bringen 
kann — durch Abbildungen von Bauwerken, Standbildern und 
ähnlichen Kunstleistungen. Dabei ist alles abstrakte Theoretisieren 
zu meiden und der Stoff in möglichst konkreten Einzelerscheinungen 
zu geben. Was hätte es z. B. für einen Sinn, dem Schüler zu 
sagen: »ARISTOTELES ist der grösste Philosoph des Altertums?« 
Was denkt sich der Schüler unter einem Philosophen, noch dazu 
unter einem »grossen«? Solch hohlen Phrasen ist überhaupt der 
Krieg zu erklären, denn sie gewöhnen den Schüler daran, mit 
Worten zu arbeiten, für die er keinen klaren Begriff hat und haben
	        
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