Full text: Der moderne Geschichtsunterricht

Folgerungen aus den Fortschritten der Geschichtswissenschaft. " 21 
Die Schulung des Verstandes und der Urteilskraft wird erreicht 
durch die genetische Behandlung, durch welche der Schüler die 
Dinge in ihrem ursächlichen Zusammenhang erfassen und beurteilen 
lernt. Was die Methode*) anbelangt, nach welcher im Anschluss 
an die jedesmalige Wiederholung der neue Stoff an die Schüler 
herangebracht werden s^oll, so wäre es wohl ein Ideal, wenn man 
den neuen Stoff nicht vorzutragen brauchte, sondern wenn man 
nach dem berühmten Muster der platonischen Dialoge durch 
katechesierende Methode die Schüler dazu bringen könnte, zu finden, 
wie sich auf Grund der gegebenen Verhältnisse die Dinge wohl 
werden weiter entwickelt haben. Der Lehrer hätte dann die Dis¬ 
kussion gewissermafsen nur zu leiten und nur dann einzugreifen, 
wenn die Entwicklung sich ins haltlose, reine Erraten zu verlieren 
drohen würde. 
Doch das wird sich bei sechsklassigen Mittelschulen in den 
weitaus meisten Fällen wohl gar nicht, bei neunklassigen, wo doch 
die Schüler schon etwas älter und urteilsreifer sind, auch nur in 
Ausnahmefällen und bei ganz besonders geweckten Schülern 
erreichen lassen. 
Es wird also in der Regel dem Lehrer nichts anderes mög¬ 
lich sein, als den neuen Stoff vorzutragen, ganz besonders, wenn 
es sich um Nacht- und Schattenseiten der Geschichte handelt. 
Solche Partien müssen überdies sehr sorgfältig ausgewählt werden, 
und der Lehrer muss bei der Behandlung jedes Wort auf die Gold¬ 
wage legen, damit Vorsicht, Ernst und Würde unter allen Um¬ 
ständen gewahrt werden. Solche heikle Themata aber ganz zu 
übergehen, wäre andererseits wieder höchst bedenklich, weil gerade 
dadurch die Neugierde der Schüler erst recht geweckt wird und dann 
auf indirektem Wege sich zu befriedigen sucht, was oft viel mehr 
Schaden anrichtet, als man durch Verschweigen zu verhüten glaubt. 
Verstand und Urteil können ferner geübt werden durch mög¬ 
lichst vergleichende Behandlung, besonders bei sozialen und 
wirtschaftlichen Verhältnissen, z. B.: Wertschätzung der Arbeit im 
Altertum (Sklaverei) und in der Neuzeit (unter dem Einflüsse des 
Christentums); der Begriff Bürger im Altertum, im Mittelalter und 
in der Neuzeit; Bürgerrechte und Bürgerpflichten in verschiedenen 
*) Persönliche Erfahrung und sehr dankenswerte Winke von geschätzter Seite, 
die über längere und reichere Lehrerfahrung verfügt als der Verfasser, haben den 
letzteren veranlasst, nachfolgende Partie in einer von der I. Auflage wesentlich ab¬ 
weichenden Ausführung zu bringen.
	        
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