Full text: Ferdinand Hirts historische Bildertafeln

Knieen ab umsäumten Untergewande oder Hemd, sowie einem 
Obergewand, welches er über die rechte Schulter gezogen, und 
einer Kappe, die noch Spuren roter Bemalung aufweist und deren 
Zipfel umgeschlagen ist. Noch heute gebraucht die Bevölkerung 
solche aus Wolle gestrickte Kopfbedeckungen. Der männliche 
Porträtkopf (Abbildung 7) bietet den gleichen Charakter; der 
weibliche zeigt kunstreich geordnetes und im Nacken lockig 
herabfallendes Haar, das ein Band umschliesst, Ohrgehänge und 
am Hals ein aus mehreren Reihen bestehendes Perlenhalsband. 
Diese Proben cyprischer Kunst zeigen grosse Familienähnlich¬ 
keit mit der assyrischen, wie z. B. Haupt- und Barthaar auf 
den assyrischen Reliefs in gleichen, reihen- und stufenweisen 
Flechten geordnet erscheint. Andere Überreste beweisen dagegen 
mehr ägyptischen Einfluss. 
Von Cypern weit westwärts über das Meer vordringend, 
schufen die Phönizier sich besonders an der Nordküste Afrikas 
ein Kolonialgebiet. Hier ward vor allen Göttern der Baal 
Cbamman d. i. der feurige (Sonnen-)Baal verehrt. Auf Abbildung 
2 finden wir ihn sitzend und mit Widderhörnern dargestellt. 
Letzteres Attribut trägt er wie der ägyptische Sonnengott Am¬ 
mon, der ursprünglich der Gott der Fruchtbarkeit und Zeugung, 
ein Erntegott war. Das heilige Tier, in welchem dieser erscheint, 
ist der Widder, und da der Ammonkultus in Libyen stark geübt 
ward, scheinen die afrikanischen Phönizier das Widdersymbol 
für ihren Haupt- und Sonnengott übernommen zu haben. 
Wie weit überhaupt religiöse Vorstellungen sich zu ver¬ 
breiten vermochten, zeigt die Wanderung des Gottes Bes (Ab¬ 
bildung 3). Diese glotzäugige, plattnasige, tierisch grinsende 
Zwerggestalt einer Gottheit soll aus dem südlichen Arabien 
stammen und hier den Einheimischen einen gewaltigen, finsteren 
Dämon repräsentiert haben. Wir finden dieselbe aber nicht nur 
in der ganzen semitischen Welt, sondern auch in Ägypten, wo 
seine bizarre Gestalt vor allem in humoristischer Weise zu Or¬ 
namenten verwendet wurde, und seine Spuren selbst in Griechen¬ 
land, wo aus ihm der Gorgonentypus abgeleitet ist. 
Wie über das Meer, trugen die Phönizier auch an der asi¬ 
atischen Küste entlang die Civilisation nach dem Westen, und 
nicht minder ging dahin ein Kulturstrom aus dem inneren Vor¬ 
derasien. In Kleinasien bildeten die einzelnen Landschaften 
eine Reihe von Stationen für die grosse Heerstrasse der Kultur, 
die sich gleichsam etappenweise fortgepflanzt und mannigfaltige 
Umgestaltungen erfahren hat. Proben der kleinasiatischen Kul¬ 
tur sind auf Abbildung 8 und 9 in Resten der Kunst gegeben, 
welche die alten Lykier — wahrscheinlich ein indogermanisches 
Volk hoch entwickelten. Aus einem Grabe der antiken Lykier- 
stadt Pinära rührt das Reliefbild einer befestigten Stadt her, 
in dessen Hintergrund links die Nekropolis mit einem Pfeiler¬ 
und einem Sarkophaggrabmal sich befindet. Höchst instruktiv 
erweist die freie Zusammenstellung von verschiedenen Felsen¬ 
gräbern auf Abbildung 9 in gewissen Fassaden den Zusammen¬ 
hang mit dem assyrischen Tempelstil, wie er auf Abbildung 3 
dei lafel 3 erscheint; wir erblicken neben massigen Pfeilern 
schlanke Säulen mit Voluten oder Schnecken an den Kapitalen 
und mit Basen, also Formen, welche bei den griechischen Tem¬ 
peln ionischen Stiles wiederkehren; das kleinasiatische Vorbild 
füi ^ die Tempelbauten der Griechen ist unverkennbar. Im 
1 liiigen ist der andere Teil der ljidsehen Grottengräber der Ge¬ 
stalt der heimischen Holzwohnungen (Blockhäuser mit recht¬ 
winkeligem Balkenwerk) nachgebildet. 
Bogen 5. Griechen. I. Kultus. 
Auf die Entwickelung der griechischen Kultur übten am 
frühesten die Phönizier eine Einwirkung aus. Ohne freilich auf 
die Dauei ihien Einfluss sichern zu können, vermittelten sie die 
Bekanntschaft der Griechen mit der Zivilisation Syriens, deren 
Elemente teils babylonischen teils ägyptischen Ursprungs’ waren. 
In späterer Zeit, als die kleinasiatischen Kolonien der Hellenen 
einen mächtigen Aufschwung nahmen, übertrugen sich von ihnen 
nach dem Mutterlande jene engen Berührungen mit der Kultur 
welche aus dem babylonisch-assyrischen Binnenlande nach Klein¬ 
asien vorgedrungen und dabei mannigfachen Umgestaltungen 
unterworfen gewesen war. Doch verstanden es die Griechen alle 
die Anregungen', welche ihr Geist von Fremden empfing, natio¬ 
nal zu gestalten. Sie haben die Kunst eigenartig bis zu dem 
lad ausgebildet, dass das von ihnen Geschaffene als das Höchste 
gilt was das Altertum auf diesem Gebiete geleistet. Lange 
stand diese Kunst vorwiegend im Dienste der Religion und des 
öffentlichen Lebens, zweier Gebiete, die sich auf das innigste 
durchdrängen. Dem Kultus der Götter war in gleicher Weise 
Architektur und Plastik gewidmet. 
Dei lempel diente bei den Griechen so wenig wie bei den 
Ägyptern und den Vorderasiaten dem Zwecke einer Kirche in 
unserem Sinne. Er war keine Halle, in welchem sich die 
ulaubiger zu gemeinsamer Erbauung versammeln, sondern die 
Wohnung einer Gottheit. Sein Kern besteht daher aus dem 
Gemach oder der Kammer (cella) des Gottes, und um die Gegen¬ 
wart desselben darzustellen, errichtete man darin sein Standbild. 
Nur zuweilen schloss sich an die Cella noch ein besonderer 
Hinterraum, wie ein solcher z. B. beim Parthenon auf der athe¬ 
nischen Akropolis vorhanden war und zur Bewahrung des athe¬ 
nischen Staatsschatzes diente. 
Auf einem massiven Unterbau von mehreren Stufen erhebt 
sich das griechische Tempelhaus. Es pflegt die Form des Recht¬ 
eckes zu haben. An der östlichen Schmalseite gelangt man 
zum Eingang durch eine Vorhalle. Die ursprüngliche Form der¬ 
selben ist dergestalt, dass die langen Seitenmauern vortreten 
und zwischen ihren Stirnen (antae, daher diese Form „templum 
in antis“ genannt wird; Abbildung 10 a), die vorn als Pfeiler 
erscheinen, Säulen stehen. Letztere stützen den horizontalen 
Balken, welcher auf den Enden der Langseiten aufliegt und die 
Front des Giebeldaches trägt. Auch an der Rückfront kann sich 
eine gleiche Säulenhalle wiederholen (Abbildung 10 c). Eine 
freiere Entwickelung zeigt der Tempel, dessen Vorhalle in der 
ganzen Fassade nur Säulen (griech. styloi, daher Prostylos- 
Tempel) aufweist, so dass die Halle nach 3 Seiten offensteht. 
Besitzt der Tempel eine solche an beiden Schmalseiten, so heisst 
er Amphiprostylos. Eine Erweiterung vermögen diese Formen 
durch eine Säulenreihe zu erhalten, welche sich um alle vier 
Seiten des Tempels zieht. Das ist der Peripteros, der rings- 
umflügelte Tempel (Abbildung 10 e). Diese Gestalt gilt für die 
edelste. Sowohl der Parthenon (ein Amphiprostylos), als auch 
der Zeustempel zu Olympia (ein templum in antis) besitzt eine 
peripterale Säulenhalle. Durch die Verdoppelung der Säulen¬ 
stellung entstand in späterer Zeit der Dipteros oder doppelt ge¬ 
flügelte Tempel (Abbildung 10 g). Ganz spät und nur an unter¬ 
geordneten Denkmälern ward von den Griechen die Form des 
Rundtempels mit Säulenkranz (Abbildung 10 f) versucht. 
Man unterscheidet aber die Tempel nicht nur nach der Stel¬ 
lung der Säulen, sondern auch nach dem Stil derselben und pflegt 
ionische, korinthische, dorische Säulenordnung zu trennen (Ab¬ 
bildung 11). Gemeinsam haben alle Säulen eine leichte Ver¬ 
jüngung, d. h. sie werden nach oben dünner; jedoch findet dies 
nicht gleichmässig, sondern im unteren Drittel weit geringer 
als oben statt; infolge davon erhalten die Säulen eine nach 
aussen gekrümmte Kontur (Anschwellung oder Entasis genannt). 
Die ursprünglichste der Säulenordnungen ist wohl die ionische. 
Sie besitzt einen besonderen Fuss (Basis); ihr schlanker Schaft 
ist verziert mit einer grossen Zahl von Kanneluren oder halbrund 
ausgehöhlten Rinnen (an Zahl bis zu 24); eine besondere Eigen¬ 
tümlichkeit zeigt das Kapitäl oder der Säulenknauf mit dem 
schon bei den Assyriern nachweisbaren Spiralornament der Vo¬ 
luten oder Schnecken, welches seiner Entstehung nach auf eine 
sich abrundende Metallverzierung zurückgeht. Der ionischen 
tritt sekundär zur Seite die korinthische Säulenordnung, haupt¬ 
sächlich nur im Kapitäl abweichend und erst bei den späteren 
Griechen häufigere Anwendung, zugleich aber auch immer reichere 
Ausschmückung findend. An dem als Kelch oder Korb gedachten 
Säulenknauf winden sich mehrere Blätterkränze herum, wobei 
besonders der reichgezackte Akanthus (Bärenklau) zur Verwen¬ 
dung kommt, und steigen allerlei Ranken, Voluten u. s. w. 
empor. Ganz im Gegensatz zu dieser reichen Gestaltung steht 
die dorische Säule mit ihrem strengen und einfachen Charakter. 
Wie sie ohne Vermittelung einer Basis aus der Grundfläche 
hervorsteigt, besitzt sie ein überaus schlichtes Kapitäl und 
minder tiefe, minder viele Kanneluren, ferner eine geringere 
Höhe, als die ionische Säule. Pflegt diese etwa 8—9 untere 
Durchmesser zu erreichen, so zählt die dorische Säule nur gegen 
6, und dem entsprechend ist auch der reguläre Abstand zwischen 
Säulen dorischer Ordnung (etwa 1 % Durchmesser) geringer als 
bei Säulen ionischer Ordnung (bis zu 2 Durchmesser). Der 
Säulendurchmesser bildet so eine Einheit, welche das gegenseitige 
Verhältnis aller Formen des Tempels bedingt. 
Die Verschiedenartigkeit ionischen und dorischen Stiles be¬ 
schränkt sich jedoch nicht nur auf die Ordnung der Säulen, 
sondern prägt sich auch in der ganzen Konstruktion des Ge¬ 
bälkes aus. Doch sei hier nur des Aufbaus im dorischen Stil 
gedacht, da diesem die wichtigsten Tempel, der Parthenon in 
Athen und der Zeustempel in Olympia angehören. Über den 
Säulen spannte sich in massiven, von einer Säulenaxe bis zur 
andern reichenden Blöcken ein Steinbalken (Architrav oder 
Epistylion). Darüber lag ein zweiter, der steinerne Fries. An 
ihm wechseln vortretende, viereckige Blöcke, die an der Vorder¬ 
seite dreifach „geschlitzt“ sind (daher „Triglyphen“), mit zu¬ 
rückliegenden , in der Regel Skulpturen enthaltenden Feldern 
(Metopen). Dieses Gebälkeglied trägt nach innen die Steindecke 
der Cella, nach aussen das mächtig vorspringende Gesims 
(Geison) aus Stein. Hinter dem letzteren erhebt sich an den 
beiden Langseiten des Tempels sanft das mit Ziegeln gedeckte 
Dach; an den Schmalseiten war dasselbe durch ein dreieckiges 
Giebelfeld abgeschlossen, welches mit dem horizontalen Geison
	        
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