Aus dem Nibelungenlied.
2. Den Stein warf sie weithin und sprang ihm weithin nach.
Wer sie zum Weib begehrte, wenn Mut ihm nicht gebrach,
der mußt' ihr abgewinnen ein dreifach Kampfesspiel,
und sein Haupt verlor er, kam er in einem nicht zum Ziel.
3. Da sprach der Herr vom Rheine: „Ich will an die See
hinüber zu Brünhilden, wie mir's auch ergeh'.
Um ihre Minne wag' ich Leben gern und Leib:
verlieren will ich beides, erring' ich sie mir nicht als Weib.“
4. Er sprach: „Edler Sigfrid! Bitte, hilfst du mir,
die Holde zu erringen? Mein Hoffen ruht auf dir.
Erwerb' ich zur Geliebten die hohe Maid für mich,
so will ich wieder wagen willig Ehr' und Leib um dich.“
5. Sigfrid gab zur Antwort, Sigemundens Sohn:
„Ich vollbring' es, gibst du die Schwester mir zum Lohn,
die schöne Kriemhilde, die Königstochter hehr;
dann trag' ich für die Hilfe nach anderm Lohne kein Begehr.“
6. Sprach Gunther: „Ich gelob' es dir, Sigfrid, in die Hand.
Und führ' ich nur die schöne Brünhild mir ins Land,
geb' ich meine Schwester gern zum Weibe dir,
und in steter Freude leben sollst du dann mit ihr.“
7. Drob schwuren Eid und Treue die hehren Recken zween.
Doch endlose Mühsal war noch zu überstehn,
ehe sie die Schöne führten an den Rhein;
wohl mußten diese Helden drob bald in schweren Nöten sein.
8. Die Tarnkappe mit sich nahm der kühne Mann,
die er einst vorzeiten mühsam abgewann
Alberich dem Zwerge auf wackre Heldenart.
Die Helden reich und mutvoll rüsteten sich für die Fahrt.
9. Die goldgeschmückten Schilde trug man an den Strand
und bracht' ins Schiff zu ihnen all ihr Heergewand.
Man führt' herbei die Rosse: fort ging's bald unverzagt.
Da ward von schönen Frauen viel geweint und viel geklagt.
10. Es trat da in die Fenster manch liebliches Kind.
Schiff und Segel schaukelt' ein günstiger Wind;
die stolzen Heergesellen wiegte nun der Rhein.
Es fragte König Gunther: „Wer soll des Schiffes Lenker sein?“
11. Eine lange Stange Sigfrid rasch ergriff,
und kräftig er vom Lande abwärts schob das Schiff.
Gunther auch der kühne ein Ruder selber nahm:
da schwammen ab vom Ufer die rüst'gen Ritter lobesam.