Full text: Deutsches Lesebuch für das mittlere Kindesalter (1, [Schülerband])

99. Wüchterruf. 100. Der menschenfreundliche Nachtwächter. 
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99. (96.) 
Höret, was ich euch will faslctt! 
Die Glocke hat zehn geschlagen. 
Jetzt betet und jetzt geht in's Bett, 
Und wer ein gut' Gewissen hütt', 
Schlaf' sanft und wohl! Im Himmel 
wacht 
Ein heiter Aug' die ganze Nacht. 
Höret, was ich euch will sagen! 
Die Glocke hat elf geschlagen. 
Und wer noch bei der Arbeit schwitzt, 
Und wer noch bei der Karte sitzt, 
Dem sei's zum letzten Mal gesagt: 
's ist hohe Zeit! — nun gute 
Nacht! 
Höret, was ich euch will sagen! 
Die Glocke hat zwölf geschlagen. 
Und wo noch in der Mitternacht 
Ein Herz in Schmerz und Kummer 
wacht, 
Gott geb' dir eine stille Stund', 
Mach' froh dich wieder und gesund! 
Wächterruf. 
Höret, was ich euch will sagen! 
Die Glocke hat eins geschlagen. 
Und wo mit bösem Will'n und Rath 
Ein Dieb auf dunklen Pfaden naht, 
— Ich will's nicht hoffen, doch ge- 
schieht's — 
Geh' heim, der ew'ge Richter sieht's! 
Höret, was ich euch will sagen! 
Die Glocke hat zwei geschlagen. 
Und wem schon wieder, eh's noch tagt, 
Die schwere Sorg' am Herzen nagt, 
Du armer Mensch, dein Schlaf ist hin! 
Gott sorgt; was trübst du deinen 
Sinn? 
Höret, was ich euch will sagen! 
Die Glocke hat drei geschlagen. 
Die Morgenstllnd' am Himmel schwebt, 
Und wer in Ruh' den Tag erlebt, 
Dank Gott und fasse frohen Muth 
Und geh' an's Werk und halt' sich 
gut! — 
Hebel. 
100. (97.) Der menschenfreundliche Nachtwächter. 
Der Nachtwächter Kümmerer zu Käferthal bei Mannheim 
stand seinem Amte mit Sorgfalt und Fleiß vor, war auch in der 
Gemeinde als ein furchtloser und wachsamer Mann wohlbekannt. 
Es war in einer sehr kalten Winternacht, als derselbe seinen 
Dienst verwaltete und plötzlich aus der Ferne herüber einen eigenen 
Jammer- und Klageton horte. Mancher andere hätte sich nicht 
weiter daran gekehrt oder hätte vielleicht gar Gespensterspuk ver¬ 
muthet, denn es war Mitternacht. 
Nicht so Kämmerer, der Nachtwächter. Er dachte: Es ist 
deines Amtes, in der Nacht Unglück zu verhüten; sicherlich liegt 
draußen ein Mensch, der sehr schnell der Hilfe bedarf. Eiligst 
begab er sich nach Hause, weckte seinen Sohn auf und ging mit 
diesem dem Walde zu. Immer schwächer hörten sie das Wimmern 
und Stöhnen. Sie silchten und suchten und fanden endlich einen 
Greis, der sich verirrt haben mußte und im Schnee ganz erstarrt 
dalag. — 
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