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68. Ernst Rietschel (1804—1861).
21m 21. Februar 1861 verstarb zu Dresden der Bildhauer Ernst
Rietschel, der Schöpfer des Doppelstandbildes Goethes und Schillers
zu Weimar und des großartigen Lnther-Denkmals zu Worms. In
Dresden finb von seinen Werken das Standbild des Königs Friedrich
August I. (im Zwinger) und das Standbild des Tondichters Karl
Maria von Weber aufgestellt; in Leipzig befindet sich von ihm das
Standbild des bahnbrechenden landwirtschaftlichen Lehrers Thaer. In
seinen „Jugenderinnerungen" erzählt Meister Rietschel von seiner Kindheit:
„Mein Vater hatte in seiner Jngeud große Lust zum Studieren,
doch mein Großvater nicht die Mittel, darein zu willigem er mußte ein
Handwerk lernen und ward zu einem Verwandten, einem Beutler oder
Handschuhmacher, in die Lehre gethan. Nach damaligem Gebrauche hatte
er sich, als er Geselle geworden war, aufs Wandern begeben, ist aber
nicht weit gekommen. Nachdem er einige Jahre in Nixdorf, einem Orte
an der böhmischen Grenze, gearbeitet, kehrte er nach Pulsnitz zurück.^
Ich wurde den 15. Dezember 1804 (zu Pulsnitz) geboren. Das
erste, was aus der frühesten Kindheit im Bewußtsein meiner Erinnerungen
geblieben ist, war ein Wohlgefallen an kleinen Bildchen und Holzschnitten,
wie sie damals in gewöhnlichen Bilderbogen für Kinder existierten. Ich
versuchte selbst aus die Schiefertafel zu zeichnen, was mich interessierte,
so z. B. in meinem dritten Jahre einen Bärenführer mit seinem Bären,
welcher mich auf der Straße mit staunendem Interesse erfüllt hatte. Im
sechsten Jahre malte ich eine liegende Kuh mit Wasserfarben, ob aus dem
Kopse — ich weiß es nicht, welche ebenfalls viel Beifall hervorrief. Es
blieb nun bei mir das Interesse für Zeichnen und Bilder anhaltend
rege; freilich fielen mir letztere sparsam zu; denn nur selten konnte ich
vom Vater den Kauf eines Bilderbogens für fechs Pfennige erlangen.
Mein Schulunterricht bestand bis zum elften Jahre nur im Lesen
der Psalmen und Evangelien (welche als einzelne Bücher in unfern
Händen waren, und ans denen wir Sprüche auswendig zu lernen hatten),
Schreiben und Rechnen; im letzteren kam ich bis zum Multiplizieren,
^.ie schule war in zwei Klaffen geteilt, die kleinen Knaben beim Kantor,
die großen von zehn oder elf Jahren beim Rektor. Der Unterricht be¬
schränkte sich nach damaliger Weife nur auf wenige Gegenstände, des
Vormittags eine Stunde Religionsgefchichte, eine Stunde Schreiben, eine
Stunde Rechnen, des Nachmittags eine Stunde Lesen und eine Stunde
Diktieren teils von Fabeln, teils von technologischen Beschreibungen, oder
vaterländischer Geographie.
In Pulsnitz lebte ein Maler und Zeichenlehrer, Namens Köhler.
Mein Verlangen zu zeichnen war groß, und der gute alte Köhler nahm
mich unentgeltlich als Schüler aus. Ich machte die schnellsten Fortschritte,