54 I. Die Zeit der Konstitutionen. 
Kammern, wie man die beiden das Reich vertretenden 
Körperschaften nannte, und in der Presse, aber auch in 
den geheimen und öffentlichen Versammlungen und Ver¬ 
einen der Hauptstadt; und immer bezog sich der Streit, 
wenn man die Leute hörte, auf das Recht, wie sie's 
verstanden, auf die Freiheit, die sie meinten, beim Lichte 
beseben aber auf den Besitz der Macht. Und die Cen¬ 
tralisation, welche Napolen eingeführt, wonach die Pro¬ 
vinz Nichts, Paris Alles war, bestand leider fort, daher 
das schöne Ungeheuer, die Hauptstadt, alle Kräfte des 
Guten wie des Bösen aufsog uud damit Zugleich der Ruhm 
und der Ruin des Landes wurde. 
Nach der Rückkehr vou Gent 8. Juli 1815 vermochte 
der König die milde, versöhnliche Art des ersten Jahrs 
nicht einzuhalten; denn die Royalisten und Ultras, an 
deren Spitze sein Bruder stand, glühten nach Bestrafung 
aller Anhänger Napoleons. Damals rächten sich die 
Marseiller blutig an ihren Feinden, und in protestanti¬ 
schen Gegenden wie in und um Nismes wurden die Nach¬ 
kommen der Hugenotten monatelang mit Morden und 
Martern verfolgt, ja etliche gekreuzigt; einen Marschall 
Brune in Avignon, einen General Ramel in Toulouse 
durfte der katholische Pöbel erschlagen, ohne daß irgend 
jemand Einhalt that. Die damals gewählte Kammer 
war so royalistisch, daß der gemäßigte Minister Herzog 
von Richelieu, der nach der Hinrichtung Ney's Gnade 
über die Bonapartisten ergehen lassen wollte, sie auflösen 
mußte (Sept. 1816). Die neue Kammer trat gemäßig¬ 
ter auf, und ein neues Wahlgesetz brachte immer mehr 
Leute des liberal gesinnten Mittelstandes in die Volks¬ 
vertretung. Das machte dem Minister etwas bange, und 
nachdem er auf dem Congreß in Aachen (Okt. 1818) es 
durchgesetzt hatte, daß die fremden Truppen, welche noch 
immer den Bourbonenthron stützten, schon jetzt abzogen, 
legte er seinen Posten nieder. Der Minister Decazes, 
des Königs erklärter Liebling, regierte nun immer frei¬ 
sinniger, er rief 31 der Königsmörder aus der Verban-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.