88 I Die Zeit der Konstitutionen.
in französische Hände zu bringen. Damit zeigte er, daß
Metternich nicht mehr ganz Italien wie ein ihm anver¬
trautes Gut behandeln dürfe; auch blieben die Rothhosen
7 Jahre in Ancona, gerade so lange wie die Oestreicher
in der Romagna. Nun eben stattete die Cholera dem
leichtsinnigen Paris ihren ersten Besuch ab, wo sie un¬
heimliche Gerüchte von Brnnnenvergistung und grausame
Mordthaten gegen Verdächtige hervorrief. Perier besuchte
samt dem König die Choleraspitäler, wurde von der
Seuche ergriffen und starb 16. Mai 32. Fortan über¬
nahm der König selbst den Vorsitz im Ministerrathe und
mußte somit auch die Gehässigkeit aller Maßregeln in
eigener Person tragen.
Minister waren nun der geschickte Leiter des Militär¬
wesens, Marschall Soult, und der sittenstrenge, gedan¬
kenreiche, aber den Parisern durch seinen profefsorartigen
„Genserton" widerwärtige G ui zot, der doch durch die
Einführung des unverantwortlich vernachlässigten Volks¬
unterrichts 1833 sich bleibende Verdienste erwarb. Zu
beklagen war nur, daß für die Gewinnung von 40,000
Schullehrern nicht gesorgt wurde, daher das Meiste an
den geistlichen Orden hängen blieb. Dazu wechselten die
Minister so oft, daß keiner Zeit hatte, seine Gedanken
auszuführen. Auch eine neue Religion kam jetzt in
Frankreich auf. Ein Gras St. Simon (f 1825), der
sich berufen glaubte, der Welt zum ewigen Frieden zu
verhelfen, hatte die bürgerliche Gesellschaft durch Auf¬
hebung des Privatbesitzes, der Erb- und Familienrechte,
sowie Organisiruug der Industrie wiedergebären wollen.
Ein neues Christenthum „von dieser Welt" sollte die
Mehrzahl der Menschen, die Armen, dem höchsten Glück
entgegenführen. Das schlug bei überspannten Jünglingen
ein, deren einer, Enfant in, Prophet, ja Messias des
neuen Glaubens wurde. Uneinigkeiten unter den Saint-
simonisten führten zn einer gerichtlichen Klage, und diese
zum Bekanntwerden ihrer verderblichen Grundsätze; denn
auch Aufhebung der Ehe und „die freie Frau" fände« sich