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dem Schwert umgürtet auf das Dach feines Hauses fetzt, den Blick gen
Osten gewendet. Nur eines will ich heute erkunden: ob wir den morgenden
Tag überleben ! Ist dieser Fels mit feiner Kuppe nicht jetzt unser einziges
t)aus _? Latz mich hinaufsteigen mit dem Kinde nach altväterlichem Brauch!
Uno indes ich oben die Zukunft beschwöre, gedenke du hier des sühnenden
Opfertodes, in öem das nordische Volk seinen besten Mann, den König
Domaldi, hinschlachtete, damit der Hunger von dem Lande genommen werde!"
,?a rns das Weib verzweiflungsvoll: „So höre du vorher die Ge¬
schichte einer andern Opferung, höre, wie es erging, da Jehova dem
Hbraham besah daß auch er sein bestes Gut, seinen Sohn Isaak, am
Altare schlachte!
Aber der Mann hörte nicht. (Er stürmte mit dem Kinde zur Felsen-
kuppe hinauf und verschwand hinter den Büschen.
Das Weib wollte ihm nacheilen, die Mutter dem Kinde. Doch als
m au'* s°om ^euer' öa ward erst offenbar, wie ihr der Hunger das
Knochen gesogen; sie brach ohnmächtig zusammen.
Plötzlich weckte das Schreien ihres Kindes die Mutter wieder zum
leben, und als sie aufhorchte, klang ganz nahe seitwärts aus den Zweigen
hervor Getöse wie eines Kampfes. Dann ward es totenstill.
Da raffte die Mutter sich auf; ihre Kraft war wiedergekehrt, und
sie sprang hinüber ins Dickicht, von wo des Kindes Stimme getönt hatte
Und vor ihr stand dort ihr Mann, vergeiftert im Gesicht, das Schwert
gesenkt, und im hellen Mondlichte sah man, wie Blut von dem Schwerte
troff, und Arm und Gesicht des Mannes war mit Blut bespritzt. Mein
Kind!" schrie die Mutter, ,,wo ist mein Kind?"
. Da reichte ihr der Mann das Kind, das er im linken Arme gehalten,
mit dem schützenden Felle bedeckt. Das Kind war unversehrt; es war wieder
in Schlaf versunken und lächelte im Schlafe, „wir find beide heil und
ohne Wunden," sprach der Mann gebrochenen Tones.
Das Weib forschte, was geschehen sei. Der Mann aber sagte zitternd:
„vollende, was du vorhin begonnen, die Mär von der Opferung ienes
Kindes, die Gott dem eigenen Vater befohlen!"
Und verwunderungsvoll, kaum des Wortes mächtig, erzählte das Weib
die Opferung Isaaks und schloß mit den Worten der Schrift, die sie
au inl Koster ZU Fulda vernommen: „Da sprach der (Engel des Herrn
zu Abraham: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts!
Denn nun weiß ich, daß du (Bott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes
nicht verschonet um meinetwegen. Da hub Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter ihm in den Hecken mit seinen hörnern hangen
und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn an seines Sohnes
Statt zum Brandopfer."
.. fk geendet, sprach der Mann: „So hat sich heute erneut nicht
oie mar von der Opferung König Domaldis, sondern von der Opferung
Isaaks. Siehe, auch ich wollte unser Kind opfern! Doch nicht gleich
Abraham, weil es mir Gott geboten, sondern als ein Sühnopfer den
zürnenden alten Göttern, und auch, daß wir selbst uns sättigten und
unser Leben retteten mit dem Fleische des eigenen Kindes, wie ich aber
ms Gebüsch trete, taumelnd und wie mit Irrsinn geschlagen durch den
eigenen Vorsatz, erschaue ich zwei Wölfe, die an dem Körper eines Rehes
zerren. Da wird es wieder hell vor meinem Auge; mit dem Schwerte