PH ilosophie,Weltanschauung,Wissenschaft, Erziehung 157
lieh zu vergleichen. Die Basis alles Wollens aber ist Be-
dürftigkeit, Mangel, also Schmerz, dem er folglich schon ur-
sprünglich und durch sein Wesen anheimfällt. Fehlt es ihm
hingegen an Objekten des Wollens, indem die zu leichte Be-
friedigung sie ihm sogleich wieder wegnimmt, so befällt ihn
furchtbare Leere und Langeweile, d. h. sein Wesen und sein
Dasein selbst wird ihm zur unerträglichen Last. Sein Leben
schwingt also gleich einem Pendel hin und her zwischen dem
Schmerz und der Langenweile, welche beide in der Tat dessen
letzte Bestandteile sind. Dieses hat sich sehr seltsam auch dadurch
aussprechen müssen, daß, nachdem der Mensch alle Leiden und
Qualen in die Hölle versetzt [chatte], für den Himmel nun nichts
übrig blieb als eben Langeweile.
Das stete Streben aber, welches das Wesen jeder Erscheinung
des Willens ausmacht, erhält auf den höheren Stufen der
Objektivation 2) seine erste und allgemeinste Grundlage dadurch,
daß hier der Wille sich erscheint als ein lebendiger Leib, mit
dem eisernen Gebot, ihn zu nähren; und was diesem Gebote
die Kraft gibt, ist eben, daß dieser Leib nichts anderes als der
objektivierte3) Wille zum Leben selbst ist. Der Mensch, als die
vollkommenste Objektivation jenes Willens, ist demgemäß auch
das bedürftigste unter allen Wesen; er ist konkretes Wollen und
Bedürfen durch und durch, ist ein Konkrements von tausend
Bedürfnissen. Mit diesen steht er auf der Erde, sich selber über-
lassen, über alles in Ungewißheit, nur nicht über seine Bedürftigkeit
und seine Not; demgemäß füllt die Sorge für die Erhaltung
jenes Daseins unter so schweren, sich jeden Tag von neuem
meldenden Forderungen in der Regel das ganze Menschenleben
aus. An sie knüpft sich sodann unmittelbar die zweite An-
forderung, die der Fortpflanzung des Geschlechts. Zugleich be-
drohen ihn von allen Seiten die verschiedenartigsten Gefahren,
1) Grundlage,
2) „Vergegenständlichung", der Vorgang, durch den ein nicht greifbares
(abstraktes) Wesen greifbar (gegenständlich) wird.
3) gegenständlich (greifbar) gewordene.
4) „Zusammengewachsenes", eine Vereinigung.