268
Das Neunzehnte Jahrhundert.
Stimmungen, sondern auch von Gedanken, Worten und Handlungen.
Nach dieser Forderung ordnet die Musik sich im Drama dem Worte
unter; sie dient nur dazu, den Inhalt zu begleiten und besser zum
Verständnis zu bringen. Die reine Instrumentalmusik soll bestimmte
Begriffe und Ideen aussprechen. Den Anstoß zur Neuromantik gab
der Franzose Berlioz, aus ihren Höhepunkt führte sie Richard Wagner
(1813/83). In feinem Rienzi, dem fliegenden Holländer. Tannhäufer,
Lohengrin, Tristan und Isolde, den Meistersingern, vor allem in dem
Ring der Nibelungen — Rheingold, Walküre, Siegfried und Götter¬
dämmerung — und Parsival wandte er die neuromantische Idee in
vollendeter Weise auf die dramatische Musik an. Wagner schwebte
ein deutsches Nationaldrama vor in der Art der griechischen Tragödien.
In diesem Musikdrama sollten alle Künste ausgehen. Die Musik soll
dabei die Aufgabe haben, Handlung und Wort zu begleiten und durch
das Gefühl dem Zuhörer zu erschließen. Neben Richard Wagner muß
Franz Liszt (1811/86), der nicht nur der erste Klaviervirtuose seiner
Zeit war, sondern auch durch seine Symphonien, seine Ungarischen
Rapsodien und seine Oratorien — Christus und die Legende von der
heiligen Elisabeth — seinen Ruhm dauernd machte, den Neuromantikern
zugezählt werden.
Von den Künstlern der Gegenwart lehnen sich Hiller (1811/85)
— Zerstörung Jerusalems, Saul, Ver sacrum —, Taubert (1811/91)
mit seinen reizenden Kinderliedern, Reinecke (geb. 1824), Naumann
(1827/88), Max Bruch (geb. 1838) — Frithjof, Odysseus, Glocke,
Achilleus — u. a. an Mendelssohn an, während Johannes Brahms
(1833/97), der fast aus allen Gebieten bedeutende Werke schuf, sich
mehr au Schumann anschloß. Peter Cornelius (1824/74), der
Neffe des Malers —, Der Barbier von Bagdad —, Humperdink
(geb. 1854) — Hänfel und Gretel, Königskinder —, Richard
Strauß (geb. 1864) — Don Juan, Macbeth, Tod und Verklärung,
Till Eulenspiegel, Also sprach Zarathustra, Salome, Elektra — u. a.
neigen mehr zu den Neuromantikern hin, und Joachim Raff (1825/82),
Kretzschmer (geb. 1830), Franz Abt (1819/85), Zöllner (1800/60),
Tschirsch (1818/92), Josef Rheinberger (1839/1901) u. a. schloffen
sich keiner der genannten Richtungen an.
* *
*
Es ist nicht leicht, das Wesen des letzten Jahrhunderts zu
kennzeichnen. Will man dennoch den Versuch unternehmen, so kann
es nicht durch einzelne Schlagwörter, wie Jahrhundert der Natur¬
wissenschaften, des Dampfes, der Elektrizität, der Nationalität, der