— 91 —
auf mich losgelassen hat. Auch ihm, da er ein Mensch ist und
auf einem Throne sitzt, kann .einmal zustoßen, was er sich nicht
wünscht. Weiter habe ich nichts zu schreiben, denn das Unglück,
in dem ich mich befinde, hat mir die Klarheit des Geistes ge¬
trübt. Lebe wohl, lieber Pharas, und sende auf diese meine
Bitte nur eine Zither, ein einziges Brot und einen Schwamm."
Als er diese Antwort erhielt, blieb ihm zunächst der Schluß
des Briefes unverständlich, bis der Überbringer ihm erklärte:
„Um ein Brot hat Gelimer gebeten, weil er kein gebacken Brot
gesehen noch genossen, seit er auf Pappuas sitzt. Den Schwamm
will er brauchen, weil ihm ein Auge vom Weinen und Schmutz
geschwollen ist. Der König versteht sich auf Gesang und Saiten¬
spiel; da hat er ein Lied gedichtet von seinem eignen Unglück;
wenn er nun das unter Weinen und Wehklagen vorträgt, braucht
er die Zither, sich zu begleiten." Wie Pharas das vernommen,
zeigte er sich sehr gerührt und fühlte Mitleid mit dem Geschick
des Königs. Er tat nach dem Briefe Gelimers und schickte ihm,
was er wünschte. Seine Wachsamkeit aber verschärfte er wo¬
möglich noch mehr.
Schon hatte die Belagerung drei Monate gedauert, und
der Winter nahte sich seinem Ende. Gelimer mußte befürchten,
daß die Belagerer nächstens wieder einen Sturm wagen würden,
und ihn abzuwehren, fehlte bereits allen die Kraft! Die meisten
Kinder seiner Verwandten litten bei der schlechten Ernährung
an einer Wurmkrankheit. Aber obgleich er sich sonst leicht dem
Schmerz hingab, blieb er unbewegt und hielt siu., wider aller
Erwarten aufrecht in der furchtbaren Bedrängnis, bis er folgen¬
des eines Tages mit ansehen mußte. Ein maurisches Weib
hatte irgendwoher eine Handvoll Getreide zusammengekratzt,
gemahlen, einen kleinen Kuchen daraus gemacht und wollte ihn
nun in der heißen Asche auf dem Herde rösten. So machen
nämlich die Mauren ihr Brot. An dem Herde saßen zwei halb¬
verhungerte Knaben, der eine der Sohn des Weibes, die eben
den Kuchen bereitet hatte, der andere ein Brudersohn Gelimers.
Jeder wartete gierig darauf, daß der Kuchen gar würde, um
ihn dann sofort zu verschlingen. Der Vandalenknabe griff zuerst
zu und schob den heißen, aschebedeckten Kuchen in den Mund,
da er sich vor Hunger nicht mehr zu lassen wußte; der andere
aber faßte ihn bei den Haaren und schlug ihn solange auf den
Kopf, bis er den bereits halbverschlungenen Kuchen wieder fahren
ließ. Gelimer hatte den ganzen Vorgang mit angesehen und war
davon so ergriffen, daß sein starrer Sinn sich erweichte und er
sogleich an Pharas schrieb, er wolle sich mit den Seinigen auf