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Manches Ungemach zogen sich die Christen in Jerusalem auch
durch ihre eigene Spaltung zu. Wir haben bereits oben gesehen,
daß sie sich in zwei große Parteien teilten. Die eine hing dem
Papste, die andere dem Patriarchen von Konstantinopel an; jene
hieß die römische, diese die griechische Kirche. Nicht allein
durch ihr Oberhaupt unterschieden sie sich, sondern auch durch manche
Lehren und Gebräuche. So werden bei der griechischen Kirche die
Kinder, die getauft werden, dreimal ganz unter das Wasser ge¬
taucht, bei dem Abendmahl wird gesäuertes Brot zerschnitten, und
jeder Kommunikant erhält es in einem Lössel mit geweihtem Weine,
statt daß die Katholiken bloß eine geweihte Oblate erhalten und der
Geistliche den Wein für alle genießt. Ferner ist den niederen
griechischen Geistlichen eine einmalige Ehe erlaubt, bei den Katho¬
liken aber gar keine; diese dürfen sich auch allerhand Bilder von
Jesus, Maria und den Heiligen machen, jene aber nur gemalte,
doch keine geschnitzte, ausgehauene oder gegossene. Die griechische
Kirche nimmt wie die katholische sieben Sakramente an, betrachtet
aber die Ehe nicht als unauflöslich, erteilt auch die heilige Ölung
nicht bloß Sterbenden, sondern auch andern Kranken, und verwirft
das Fegefeuer, den Ablaß, die überverdienstliche Werke. Zwar rufen
ihre Bekenner, wie die Katholiken. Maria und die Heiligen an,
fasten und bekreuzigen sich, verehren auch die Reliquien und die
Gräber der Heiligen; aber sie erkennen keinen Stellvertreter Jesu
an. Der Haß zwischen beiden Parteien, die sich als Mitchristen
und Brüder hätten lieben sollen, wurde seit dem 11. Jahrhundert
immer größer und größer, so daß alle Versuche, sie wieder zu ver¬
einigen, vergebens gewesen und sie bis auf den heutigen Tag ge¬
trennt sind.*)
Dieser unglückliche Zwiespalt brach auch in Jerusalem aus. Die
Griechen taten den Lateinern (so nannte man die Anhänger des
Papstes) und diese wieder den Griechen alles mögliche Herzeleid an.
*) Ein solcher Versuch wurde im 15. Jahrhundert gemocht, als die Türken
das griechische Reich bedrängten und die Hilfe des Abendlandes not tat. Aber
die mühsam bewirkte Einigung ist nicht zur Ausübung gekommen.