Object: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte vom Ausgange des Dreißigjährigen Krieges bis 1815 (Bd. 2)

162 Oncken: Die Reform des Rechtswesens unter Friedrich dem Großen. 
1746 schlug Cocceji dem König vor, ihn mit sechs ausgezeichneten Juristen 
nach Pommern zu schicken, um dort ein Verfahren zu erproben, mittelst 
dessen alle Hauptprozesse in einem Jahre zur Entscheidung gebracht werden 
könnten, und der König willigte ein. Die Kommission ging ab und fand 
ein Durcheinander vor, das alle Vorstellungen überstieg. Aber die Kom- 
Mission wirkte Wunder mit ihren einfachen Mitteln. Zunächst wurde in 
Stettin selbst ein neuer Gerichtshof gebildet, indem man die tüchtigsten unter 
den Räten der Regierung und des Hofgerichts mit auskömmlicher Besoldung 
zu einem Kollegium vereinigte; die Winkeladvokaten [Prokuratoren] wurden 
beseitigt und eine Sportelkasse gebildet, aus der die Subalternen ihren Sold 
empfingen. In derselben Weise wurde das Gericht in Köslin umgebildet, 
und die Arbeit des Aufräumens unter den alten Prozessen begann. Schon 
im Mai 1747 konnte Cocceji, inzwischen zum Großkanzler ernannt, melden, 
die 1600 alten Prozesse gingen ihrem Ende entgegen; im Laufe des Jahres 
waren sie in der Tat abgetan, dazu 400 neue erledigt worden; in Köslin 
waren in derselben Zeit 800 alte zu Ende gebracht worden; und von 310 
neuen nur noch 169 übrig. Mit gerechtem Stolze durste der Großkanzler 
in seinem Bericht vom Januar 1748 sagen: das leisten Justizkollegien, die 
mit lauter gelehrten und ehrlichen Leuten besetzt sind. Und wohlverdient 
war das aufmunternde Wort, das Friedrich selbst am 30. Januar 1748 
an die Regierung in Pommern richtete: „Es kann nicht anders als glorieux 
für Euer Kollegium sein, daß Ihr die Bahn gebrochen, die Chicane von 
der Justiz zu verbannen, und daß Ihr nunmehr unseren übrigen Provinzen 
zum Exempel dient, dasjenige, was Ihr so glücklich zu Werke gerichtet, nicht 
allein als möglich anzusehen, sondern auch Euren Fußstapfen nachzufolgen." 
Noch im Frühling des Jahres erschien das merkwürdige Buch, mit welchem 
die ruhmvolle Justizgesetzgebung Preußens ihren ruhmvollen Anfang nahm, 
die neue Kammergerichtsordnung, durch welche der Stand der Richter 
und der Anwälte, das Rechtsverfahren, die Gerichtskosten und das Mündel- 
recht in Preußen auf völlig neuen Grundlagen bleibend eingerichtet worden sind. 
Mit dem imponierenden Rechtssinn, dem genialen Gefetzgeberblick eines 
wahrhaft großen Königs hatte sich die Weisheit eines ausgezeichneten Fach- 
manns verbunden, um ein Werk zu schaffen, das niemand ohne Ehrfurcht 
lesen kann. Wäre Friedrich des Deutschen mächtig und Cocceji imstande 
gewesen, sich im Gebrauch des Juristenlateins nur etwas Maß aufzuerlegen, 
so würde dieses Rechtsbuch auch ein Sprachdenkmal ersten Ranges geworden 
sein. Denn, von den zahllosen Fremdwörtern abgesehen, ist die Ausdrucks- 
weise, sachlich betrachtet, meisterhaft zu nennen. Man kann klar Gedachtes, 
bestimmt Gewolltes nicht knapper geben, als es hier geschieht, und wo ver¬ 
einzelt der barsche Befehlshaberton durch einen Laut warmer Empfindung 
durchbrochen wird, da packt uns jene unwillkürliche Beredsamkeit, die dem
	        
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