203
wenigen Wochen noch mit vollem Recht als Kriegserklärung bezeichnet hatte,
bewog ihn jetzt nur zu einer am 18. beförderten Anfrage bei der Kaiserin nach
dem Zwecke der Truppenbewegungen.
Ta sendete ihm am 20. und 21. Juli sein Gesandter im Haag, von der
Hellen, Berichte des holländischen Gesandten in Petersburg, van Swart, von
dem man wußte, daß er im tiefsten Vertrauen mit den russischen Ministern
lebte. Da verbreitete sich mit einem Male Klarheit über alle Vorgänge der
letzten Monate, die man nur mühsam und doch richtig hatte zusammenreimen
können. Aber es war eine Klarheit, deren Strahlen jeden anderen als König
Friedrich blenden mußten, es war die Gewißheit über den festen Entschluß der
beiden Kaiserinnen und Kursachsens, unter Zustimmung vou Frankreich ihn mit
wenigstens 230 000 Mann anzugreifen und mit der Übermacht der vereinigten
Kräfte Frankreichs, Rußlands, Österreichs, Sachsens, denen das Reich sich an¬
schließen sollte, ihn zn zerschmettern. Lediglich und durchaus nur wegen der
militärischen Unfertigkeit habe man den Angriff bis zum nächsten Frühjahr ver¬
schoben. Es war das schlimmste Konzert der Welt, mit vollster Sicherheit ans
Friedrichs Untergang berechnet, und wer wollte es nicht gerechtfertigt finden,
wenn er solchem Frevelmut zuvorkam? Doch zu tief war er fich der Folgen
bewußt, die ein Kampf von dieser Ausdehnung haben mußte. Den Gegnern
mochte es freilich ein Leichtes erscheinen, mit ihrer Phalanx von allen Seiten
gegen den König anrückend, dies kleine Preußen zu zermalmen, und so mochten
sie mit leichtem Sinn ein Wetter heraufbeschwören, das sich doch voraussichtlich
nur über deutsche Fluren entlud. König Friedrich aber war, da die Hoffnung
aus englische Hilfe ungewiß blieb und sich jedenfalls nach den Erfolgen des
französisch-englischen Krieges beinaß, so gut wie ohne Bundesgenossen. Allein
sollte er sich der mächtigsten Staaten Europas erwehren, und wenn jene die
Aussicht aus Gewinn lockte, so konnte er nur verlieren, im günstigsten Falle
das Seine behaupten. Er mußte daher alles aufbieten, was dem Frieden
frommte, und mit der strengsten Gewissenhaftigkeit hat er es gethan. Erst
wenn die angeknüpften Verhandlungen scheiterten, wenn die Gegner in ihrem
Taumel sich taub wider die Stimme der Vernunft zeigen sollten, gedachte er
das auszuführen, was ein jeder an seinem Platz ausführen würde; dann aber
auch mit einem Gewissen, srei von jeglichem Vorwurf und mit einem voll¬
kommenen Vertrauen auf die Gerechtigkeit seiner Sache. Demgemäß wartete
Friedrich auf die Antwort Maria Theresias, bis er auch nur irgendwie größere
militärische Zurüstungen traf. Zugleich aber fetzte er alle inländischen und aus¬
ländischen Höfe in Bewegung, um den Ruin, dem nicht Preußen allein, sondern
England und alle Staaten Europas durch das Triumvirat der drei großen
Kontinentalmächte ausgesetzt seien, zu vermeiden. Und trotz aller weiteren Nach¬
richten, die über den bestimmten Entschluß Österreichs uud Rußlands, im nächsten
Frühjahr das Vernichtungswerk gegen ihn zu beginnen, einlaufen, und trotzdem
die Antwort der Kaiserin völlig der Frage ausweicht, hofft der König noch