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Gegen 3 Uhr früh rief man den Herzog. „Wie geht es meinem Kinde?"
fragte er, und als der Arzt verstummte, faltete der gebeugte Vater die Hände
und sagte: „Herr, Deine Wege sind nicht unsere Wege."
Ungefähr eine Stunde später, um 4 Uhr, traf der König in Hohen-ZierilZ
ein. Mit ihm kamen feine beiden ältesten Söhne, der damals noch nicht volle
fünfzehn Jahre alte Kronprinz und der dreizehnjährige Prinz Wilhelm. Es
war ein trüber (Sommermorgen, der Himmel hing voll Regenwolken, die ersten
Strahlen der aufgehenden Sonne rangen noch mit der Dämmerung. Heim
meldete der Kranken die Ankunft des Königs. Als die Königin ihren Gemahl
erblickte, sagte sie mit schwacher Stimme: „Mein lieber Freund, wie freue ich
mich, Dich zu sehen." — Der König konnte feinen Schmerz nur mit Mühe
Verbergen. „Bin ich denn so gefährlich krank?" fragte sie, als er sich zu ihr
neigte. Er suchte sie zu überreden: er habe die beste Hoffnung, er glaube nicht,
daß sie in Gefahr fei, und er weine nur, weil er sie so leiden sehe. „Gottlob,
daß ich da bin!" rief er aus. Sie fragte weiter: in welchem Wagen er her¬
gereist sei. „In der gelben Chaise." — „Doch nicht in dem offenen Wagen?"
fragte sie lebhafter. „Du mit Deinem Fieber?" — „Ja, in dem offenen
Wagen. Du siehst, es hat mir nichts geschadet." — „Wer ist mit Dir ge¬
kommen?" — „Fritz und Wilhelm." — „Ach Gott, welche Freude," sagte sie.
Er fühlte ihre Hand in der feinigen zittern, ltud kaum noch Herr feiner Ge¬
fühle. rief er: „Ich werde sie holen." Die Kranke sah ihm nach mit einem
Blick, in dem ihre ganze Seele sich auszugießen schien. Dann sagte sie zu den
Umstehenden: „Der König thut, wie wenn er Abschied von mir nehmen wolle.
Sagt ihm doch, er solle das nicht thun — ich sterbe sonst gleich."
Als der König wieder eintrat, mit ihm jetzt der Kronprinz und der Prinz
Wilhelm, sagte sie: „Ach, lieber Fritz, lieber Wilhelm! Seid Ihr da?" Heim
hörte, wie ihre Söhne am Bette der Mutter in lautes Weinen ausbrachen.
Sie gingen und kamen wieder, sobald die abwechselnden Brustkrämpfe der
kranken Mutter leider nur aus kurze Zeit Ruhe ließen. Der König bewahrte
jetzt feine äußere Fassung. Aber wie es ihm das Herz zerriß, das spricht ans
feiner Antwort auf die Tröstung der greifen Großmutter Luisens, daß ja noch
der Atem, also auch noch Hoffnung da fei, und bei Gottes Allmacht nichts un¬
möglich. Er entgegnete: „Ach, wenn sie nicht mein wäre, würde sie leben;
aber da sie meine Frau ist, stirbt sie gewiß." — Heim nahm den Augenblick
wahr, betn König draußen zu sagen: „Die Königin habe nur noch kurze Zeit
zu leben; wenn er sie noch allein sprechen und ihr etwas Vertrantes sagen
oder von ihr hören wolle, so möge er nicht säumen." — Der König stand eine
Minute stumm vor dem Arzte. Dann rief er aus: „Heim, bin ich nicht ein
sehr unglücklicher Mann?" Hub sich gewaltsam fassend, ging er den schweren Gang.
So nahte die neunte Stnnbe — ihre Todesstunde. Der König war in
dem kleinen Zimmer allein bei ber Kranken geblieben. Ein neuer heftiger
Krampfanfall erschreckte ihn. Er öffnete bie Thür und rief bie Ärzte aus bem