Full text: König Friedrich Wilhelm II. - König Friedrich Wilhelm IV. (Bd. 2)

137 
graphischer Stellung dazu nicht gehören sonnten; grenzte doch Frankreich im 
Osten bereits an die Türkei und das baltische Meer. Er hatte Fürsten und 
Völker auf das äußerste gegen sich aufgebracht und einen Haß hervorgerufen, 
der in der Geschichte wenig Beispiele hat. Nur England und Rußland tonten 
noch selbständig. Einige Jahre hindurch toar es ihm gelungen, das Bünd¬ 
nis mit Rußland aufrecht zu erhalten, indem er dem Kaiser Alexander eine 
Teilung der Herrschaft über Europa und die Erwerbung der Türkei in Aus¬ 
sicht stellte. Er war aber keineswegs gewillt, dem Bundesgenossen wirklich eine 
so bedeutende Machterweiterung zu gestatten. Kaiser Alexander mußte deshalb 
suchen, sich einem Bündnisse zu entziehen, dessen Vorteile nur dem französischen 
Kaiserreiche zu statten kamen, das aber dem russischen Reiche schweren Schaden 
brachte. Er konnte es nicht verantworten, sein Land noch länger unter dem 
Drucke der Kontinentalsperre leiden zu lassen, durch welche die wirtschaftliche 
Entwickelung Rußlands ebenso belästigt wurde, wie die des übrigen Europa. 
Er traf Maßregeln, den Handelsverkehr mit England wiederherzustellen. Diese 
Anordnungen wurden von Napoleon tote ein direkt gegen ihn gerichteter Schlag 
betrachtet. Sie gaben den Beweis, daß Rußland sich seinem Einflüsse entziehe. 
Er entschloß sich. es mit Gewalt von neuem unter denselben zn bengen. Nur 
ans diese Weise glaubte er, das von ihm begründete politische System für die 
Zukunft sichern und den Gefahren vorbeugen zu können, welche in der Größe 
und der wachsenden Macht Rußlands lagen. „Rußland", hat er später auf 
St. Helena gesagt, „ist das Haupt der Hyder, der Antäns der Fabel, den man 
nur in den Händen haltend erdrücken kann. Tas Schicksal Europas wird 
künftig nur von de», Willen eines einzigen Mannes abhängen, von dem Kaiser 
von Rußland." An einer andern Stelle prophezeit er, „daß dieser sein Erbe 
und daß binnen 50 Jahren Europa entweder republikattisch oder kosn fisch sein 
werde." Konnte er nun Rußland mit den ihm zu Gebote stehenden gewaltigen 
Streitmitteln besiegen oder ihm wenigstens einen so empfindlichen Schlag ver¬ 
setzen, daß es lange Zeit brauchte, um sich wieder aufzurichten, so schien seine 
Schöpfung gesichert. 
Napoleon beschloß das Ungeheure, und tu allen seinen weitläufigen Reichen 
mit) in betten seiner Bundesgenossen geschah im Anfange des Jahres 1811 mit 
aller Kraft bie kriegerische Vorbereitung. Alle Völker Europas von Portugal 
bis Polen, vom adriatischeu Meer bis zur Nord- und Ostsee, mitrden zu der 
großen Unternehmung aufgeboten. Auch Österreich war gern bereit, sich an 
dem Kampfe gegen feinen alten Nebenbuhler zu beteiligen und verpflichtete sich 
durch den Vertrag vom 14. März 1812 ein Hilfseorps von 30 000 Mann 
zu stellen. 
Preußen dagegen war in einer sehr eigentümlichen Lage. Seit Jahren 
waren alle Bestrebungen darauf gerichtet, das Land stark zu machen zum Kampf 
gegen die Unterdrücker. Jetzt aber in diesen Kampf einzutreten, schien doch in 
hohem Grabe Gebens lieh. Preußen hätte ben ersten Stoß ber gewaltigen Macht
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.