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Erstes Buch.
stahl zusammen, indem die Einen in die Gärten stiegen, die
Anderen sich mit großer Schlauheit und Vorsicht in die Speise¬
säle der Männer schlichen. Wnrde Einer ertappt, so bekam er
viele Peitschenhiebe zur Strafe, daß er unvorsichtig und unge¬
schickt gestohlen hatte. Man gab ihnen nur schmale Kost, um
sie zu nöthigen, selbst für die Bedürfnisse ihres Magens zu
sorgen und mit List und Gewandtheit zu stehlen; wer aber er¬
griffen ward, mußte mit Schlägen und Hunger büßen. Durch
diese Einrichtung lernten die Knaben schon früh die im Kriege
nöthige List und Kühnheit. Man gewöhnte sie ferner an die
Ertragung von Hunger und Durst, Frost uud Hitze, legte ihnen
die schwersten Strapazen auf und machte sie unempfindlich gegen
den Schmerz. Ein Knabe hatte einen jungen Fuchs eutweudet
und unter seinem Mantel verborgen; um nicht entdeckt zu wer¬
den, ließ er sich, ohne ein Zeichen von Schmerz zu geben, von
dem Thiere den Leib zerkratzen und zerbeißen, bis er todt ans
dem Platze blieb. An dem Feste der Artemis Orthia waren
in der Zeit vor Lykurgos Menschenopfer an dem Altar der
Göttin gefallen; Lykurgos schaffte diese barbarische Sitte ab und
ordnete zum Ersätze für das Menschenopfer an, daß Knaben an
dem Altar gegeißelt wurden, so daß das Blut den Altar be¬
spritzte. Keiner durfte dabei einen Lant oder ein sonstige»
Zeichen des Schmerzes von sich geben, und es kamen öfter Fälle
vor, daß Knaben ohne einen Schmerzenslaut unter deu Streichen
todt zu Boden fielen.
Die Knaben wurden ferner fchon frühe gewöhnt, das Be¬
nehmen ihrer Mitbürger mit aufmerksamem Auge zu beobachten,
das Schöne und Edle in deren Handlungsweise zu erkennen und
darüber sich kurz und bündig auszusprechen. Man verlangte
von dem Knaben in Gegenwart der Erwachsenen ehrwürdiges
Schweigen; ward er gefragt, fo mußte er kurz und gedrängt
und treffend antworten. So erlangte der Spartaner vor allen
Griechen die Kunst, sich kurz und sinnreich auszudrücken; „lako¬
nisch reden" hieß kurz und nicht ohne Witz reden. Mit dersel-