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wieder in Deutschlands Gauen verstummen der Ruf: „Gott schütze Kaiser und 
Reich!" Das walte Gott! 
30. Unterredung Napoleons mit Bismarck bei Donchery. 
(2. Sept. 1870.) 
Welch ein Gegensatz zwischen den beiden Männern, die im Vordergründe 
des Bildes unser Auge fesseln: der Eine ein gebrochener, tief gedemüthigter 
Mann, der Andere ergriffen von ber Bedeutung des Augenblicks, aber auch 
freudig sich bewußt des durch schwere Kämpfe erreichten Zieles. 
Die deutsche Heeresleitung hatte rundweg die Waffenstreckung der gesammten 
in Sedan eingeschlossenen Armee verlangt. Der französische Kriegsrath mußte 
das Vergebliche ferneren Widerstandes erkennen, hoffte aber, wenigstens mildere 
Bedingungen zu erlangen. Napoleon selbst übernahm es, sich in einer Rück¬ 
sprache mit dem König Wilhelm dafür zu verwenden. An dem nebeligen Morgen 
des 2. September fuhr Napoleon in einem offenen Zweispänner von drei Offizie¬ 
ren (darunter Reille) begleitet, nach Donchery hinaus. Reille eilte voraus, um 
dem Grafen Bismarck die bevorstehende Ankunft des Kaisers zu melden. Schnell 
warf sich der Graf in seine Kürassieruniform und ritt ohne alle Begleitung dem 
Manne entgegen, der ihn mehr haßte, als kaum einen Andern. In ber Nähe 
von Frenois trafen sich die beiden Gegner. Als der Graf etwa noch 20 Schritt 
von dem Kaiser entfernt war, rückte er den durch den schnellen Ritt nach vorn 
geschobenen Revolver an seine Stelle. Napoleon erschrak, so absichtslos auch 
diese Bewegung war; über das Antlitz des eisernen Grafen aber flog ein Lächeln, 
als er dies Erblassen seines Feindes bemerkte. Am Wagen angekommen, sprang 
Bismarck vom Pferde und grüßte militärisch. Da eine Unterredung mit dem 
Könige vor Abschluß der Kapitulation nicht geschehen sollte, der Kaiser also nur 
mit dem Kanzler verhandeln konnte, so stellte dieser sein eigenes Quartier nt 
Donchery zur Verfügung. Napoleon aber hatte eine Scheu vor seinen eigenen 
Unterthanen und ließ att einem einzeln stehenden Häuschen, rechts von der Straße, 
halten. Bismarck begab sich mit dem Kaiser in ein einfensteriges Zimmer, dessen 
Ausstattung in einem Tische und zwei Stühlen bestand. Napoleon verwendete 
sich vergeblich für mildere Capitnlationsbedingungen, da General Moltke mit 
Festsetzung derselben beauftragt war. Zu Friedensunterhandlungen war er 
durchaus nicht geneigt, weil dies Sache der Kaiserin-Regentin sei. Da bet dem 
von Napoleon eingenommenen Standpunkte sich die Lage immer peinlicher ge¬ 
staltete, so begaben sich die beiden Herren auf des Kaisers Vorschlag in's Freie, 
indem sie auf zwei Stühlen vor dem Hause Platz nahmen. (Siehe das Bild.) 
Napoleon machte toteberholte, aber vergebliche Versuche, bent Kanzler 
mildere Bedingungen abzugewinnen. Er schlug z. B. vor, daß die gefangene 
Armee sich in das nahe gelegene Belgien begeben und dort entwaffnen lassen 
solle. Bismarck blieb unerschütterlich fest. Die ganze Haltung ergab die Festigkeit 
des großen Mannes. Matt sehe sich an die mächtige, imponirende Gestatt, die 
Beine in hohen, weiten Reiterstiefeln, die feste Hand aus den Pallasch (den Säbel) 
gelegt — und dagegen die untersetzte Gestalt des Kaisers, sein bleiches, ab¬ 
gespanntes, wirklich unangenehmes Antlitz, bett Militärmantel lose um den ge¬ 
brochenen Körper gelegt, bas Käppi auf bem Haupte, bie Augen kaum tm Stande, 
sich auf bas Angesicht bes gehaßten Gegners zu richten.
	        
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