Full text: Völkerwanderung, Frankenreich und Anfänge des Deutschen Reiches (Bd. 4)

Ein Frauenleben aus der Zeit der Völkerwanderung. 23 
Der Friede ward beschworen,— fahr wohl, schön Hiltegund! 
So zog in die Verbannung die Perle von Burgund. — 
Nachdem nun König Etzel der Heimat sich erfreut, 
Pflegt er die fremden Kinde mit großer Biederkeit; 
Wie seine eignen Erben ließ er sie auserziehn, 
Die Jungfrau anempfahl er der Königin Ospirin. — 
Es ward mit Gottes Beistand auch die gefangene Maid 
Der trutzigenHunnenfürstin ein' wahre Augenweid'; 
An Tugend reich und Züchten, so ward Hiltgund zuletzt 
Als Schaffnerin dem Schatze der Hofburg vorgesetzt, 
Und wenig fehlte nur noch, so war sie in dem Reich 
Die Höchste; — was sie wünschte, erfüllt war's allsogleich. 
(Unterdessen hat Waltari für Etzel einen herrlichen Sieg davongetragen. 
Nach dem Kampfe sucht er Hiltgund auf:) 
Hiltgund traf er alleine, da küßt' er sie und sprach: 
„Beschaff' doch einen Trunk mir! Das war ein heißer Tag." 
Da füllte sie den Becher, er trank den Firnewein, 
Jach wie den Wassertropfen einsaugt der glühe Stein. 
Dann schloß er in die seine der Jungfrau weiße Hand; 
Sie wußten, daß von alters verlobt sie seien einand. 
Errötend stand und schwieg sie. Da sprach er zu der Maid: 
„Gar lange schon wir tragen der Fremde herbes Leid 
Und sollten doch nach Rechten einander sein zu eigen; 
Ich hab das Wort gesprochen! nicht länger mag ich's schweigen." 
Die Jungsrau stand betrüblich, als wär's nur Spott und Hohn ; 
Aufflammt ihr blaues Auge, sie sprach mit herbem Ton: 
„Was heuchelt deine Zunge, was nie dein Herz begehrt? 
Viel besserer Verlobten hältst, Schlauer, du dich wert." 
Da blickte treu und minnig, da sprach der tapfre Mann: 
„Fern fei, was du gedenkest, o hör' mich huldvoll an! 
In meines Herzens Grunde haust weder Falsch noch Arg, 
Niemal ich mit dem Munde den wahren Sinn verbarg. 
Kein Späher weilt im Saale, nur wir zwei beid' allein, 
Ich wüßt ein süß Geheimnis, wolltst du verschwiegen sein." 
Da stürzte ihm zu Füßen Hiltgund, und weint' und sprach: 
„Wohin du mich berufest, o Herr, ich folg' dir nach." 
Er hob sie auf mild tröstend: „Ich bin der Fremde müd, 
Ein süßes Heimatsehnen die Seele mir durchglüht; 
Doch ohne Hiltgund nimmer steht mir zur Flucht mein Sinn; 
So du zurücke bliebest, des schöpft' ich Ungewinn." 
Da lacht' sie in die Thränen: „O Herr, du sprichst mit Fug 
Das Wort, das ich seit Jahren geheim im Busen trug. 
Gebiete denn die Flucht mir, mit dir will ich sie wagen; 
Durch Not und Fährlichkeiten muß uns die Liebe tragen."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.