Full text: Die Hellenen seit dem Ende der Perserkriege (Bd. 2)

22 Der peloponnesische Krieg. 
freies Leben und zeigen uns nichtsdestoweniger auf der Walstatt 
dem Gegner gewachsen. Dafür diene folgendes als Beweis. Die 
Lacedämonier wagen es nicht, lediglich mit ihrer eigenen Macht, 
sondern mit den gesamten Streitkräften ihrer Bundesvölker in 
unser Land einzufallen. Und wenn wir selbst unseren Nachbarn 
zu Leibe gehen und aus feindlichem Boden mit Leuten fechten, 
die ihre Heimat verteidigen, so behalten wir doch meistens die 
Oberhand. Denn mit unserer gesamten Kriegsmacht hat es noch 
kern Gegner auf dem Schlachtfelds zu tun gehabt, da wir zugleich 
eine Flotte unterhalten und auch unsere Landstreitmacht gewöhnlich 
aus eine Reihe von Punkten verteilt ist. Wenn die Gegner aber 
einmal mit einem Teile unserer Streitkräfte zusammenstoßen und 
ihn überwältigen, so pflegen sie sich zu rühmen, als hätten sie 
unser gesamtes Heer geschlagen; wenn sie aber den kürzeren 
ziehen, so tun sie, als seien sie der Übermacht unserer gesamten 
Streitkräfte unterlegen. Und wenn wir auch lieber mit einer 
gewissen Behaglichkeit der Lebensführung, als mit Übung in den 
Mühseligkeiten des Feldlebens, und mit einer weniger durch 
Kriegsgesetze erzwungenen, als auf der Charakteranlage beruhen¬ 
den Tapferkeit der Kriegsgefahr entgegenzugehen entschlossen sind: 
nun gut, so genießen wir den Vorteil vor den Gegnern, daß wir 
uns nicht im voraus für die in der Zukunft zu erduldenden Leiden 
abquälen und uns dabei doch, wenn die Not da ist, nicht mutloser 
erweisen als die Leute, die sich beständig abmühen. 
Doch nicht nur in dieser Hinsicht verdient die Leistungs¬ 
fähigkeit unseres Staatswesens Bewunderung, sondern 
noch in manchem anderen Punkte. Denn wir pflegen den 
Kunstsinn ohne Verschwendung und den wissenschaftlichen 
Geist ohne Verweichlichung, und wir benutzen unseren Reichtum 
mehr als Mittel zur Betätigung als nur zum Prahlen. Armut 
etnzugestehen gilt bei uns für niemand als Schande, desto schimpf¬ 
licher aber ist es, wenn man es unterläßt, sie durch eifrige Tätig- 
feit zu überwinden. Ein Teil unserer Mitbürger widmet sich in 
gleicher Weise den persönlichen und den staatlichen Aufgaben; die 
anderen, die sich dem Erwerbsleben zuwenden, sind doch keineswegs 
ihrer staatsbürgerlichen Pflicht entfremdet. Denn wir 
stnd der einzige Staat, in welchem totem den Bürger, der sich an 
diesen Aufgaben gar nicht beteiligt, nicht als ein nur zurück¬ 
zogen lebendes, sondern geradezu unnützes Mitglied betrachtet. 
Denn wir selbst treffen unsere Entscheidungen oder erwägen 
wenigstens unsere Angelegenheiten gründlich, indem wir die Reden 
^.ote -politischen ^ra9en nicht als einen Nachteil für die Be- 
• ? f. ? n® ansehen, vielmehr überzeugt sind, daß es fehlerhaft 
t)t, sich vor der entscheidenden Abstimmung nicht durch Be-
	        
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