Full text: Ein Lesebuch für die 4. und 3. Klasse höherer Mädchenschulen (Teil 3, [Schülerband])

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Du hältst das Körnlein an dein Ohr; es giebt keinen Laut 
von sieh. Du legst es auf dgn Tisch; es rührt sich nicht. Es 
ist nicht warm, nicht kalt, und doch steckt viel Leben darin. 
Der liebe Gott hat sogar in dieses eine kleine Körnchen einen 
grossen Halm mit einer langen Ähre von vielen Körnern ver¬ 
steckt, wenn es der Mensch mit seinen Augen auch nicht sehen 
kann. Kannst du doch auch in dem Vogelei keine Federn, 
keine Flügel und keinen Schnabel sehen, und doch steckt ein 
ganzer Vogel darin. Das Korn ist auch ein solches Ei, das 
von der Erde wie von einer Bruthenne ausgebrütet wird. Der 
in ihm liegende Keim ist wohl verwahrt. Wie bei dem Ei 
kommt erst eine gröbere, härtere Schale, die den weichen Kern 
wie ein Panzer umgiebt. Zwischen ihr und dem Keime liegt 
noch eine feinere, weichere Haut, damit die äussere Haut nicht 
zu sehr drücke. 
Hat das Samenkorn eine Zeitlang in der dunklen Erde 
geschlummert, so wecken es die Sonnenstrahlen aus seinem 
Schlafe; der Keim in seinem Innern regt sich. Er saugt die 
weifse Milch auf, die ihn umgiebt. Dadurch wird er bald so 
stark? dass er die äussere Schale zersprengt und zwei Spitzen 
hervortreibt, die man das Federchen und das Würzelchen 
nennt. Das Würzelchen geht nach unten in die Erde; denn 
es weiss, dass es Speise und Trank findet. Dabei teilt es sich 
in kleine Fasern, die man Wurzelfasern nennt. Mit diesen 
saugt es die Nahrung auf. Woher weiss aber der Keim, dass 
er Nahrung im Boden findet? Wer hat ihm gesagt, wo der 
Erdboden ist, den er doch nicht sieht? Das hat ihm der 
liebe Gott gesagt, der das Körnlein erschaffen hat, und der es 
erhalten will. Darum, wenn du die Spitze des Keimes, der 
zur Wurzel bestimmt ist, aufwärts kehrest, so krümmt sie sich 
so lange abwärts, bis sie den Erdboden gefunden hat. Die 
andere Spitze, das Federchen, welches zu Stengeln und Blättern 
emporwachsen soll, wendet sich jedesmal von der Erde weg 
und steigt nach oben, um Licht und Luft zu suchen.
	        
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