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schönes, langes Gras gewachsen, das dauerte die Bauern, wenn es
verloren sein sollte; deswegen hielten sie Rat, wie man es etwa be¬
nutzen könnte. Die einen waren der Meinung, man sollte es ab¬
mähen; aber niemand wollte sich dem unterziehen und sich auf die
hohe Mauer wagen. Andere meinten, wenn Schützen unter ihnen
wären, so dürfte es das beste sein, wenn man es mit einem Pfeile
herabschösse. Endlich trat der Schultheiß hervor und riet, man solle
das Vieh auf der Mauer weiden lassen, das würde mit dem Gras
wohl fertig werden, so brauche man es weder abzumähen noch abzu¬
schießen. Diesem Rate neigte sich die ganze Gemeinde zu, und zur
Danksagung wurde erkannt, daß des Schultheißen Kuh die erste sein
solle, die den guten Rat zu genießen hätte. Darein willigte der
Schultheiß mit Freuden. So schlangen sie denn der Kuh ein starkes
Seil um den Hals, warfen es über die Mauer und fingen an
der andern Seite an zu ziehen. Als nun aber der Strick zuging,
wurde, wie vorauszusehen, die Kuh erwürgt und reckte die Zunge
aus dem Schlunde. Als ein langer Schildbürger dies gewahr wurde,
rief er ganz erfreut: „Ziehet, ziehet nur noch ein wenig!" Und der
Schultheiß selbst schrie: „Ziehet, sie hat das Gras schon gerochen!
Seht, wie sie die Zunge danach ausstreckt! Sie ist nur zu tölpisch
und ungeschickt, daß sie sich nicht selbst hinaufhelfen kann. Es sollte
sie einer hinausstoßen." Aber es war vergebens; die Schildbürger
konnten die Kuh nicht hinaufbringen und ließen sie daher wieder
herab. Und jetzt wurden sie erst inne, daß die Kuh schon lange
tot war.
2.
Den Schildbürgerinnen ging es nicht anders als den Schild-
bürgern. Sie gebärdeten sich ebenso närrisch. Eine Witwe, die nur
eine einzige Henne hatte, welche ihr alle Tage ein Ei legte, hatte
einst so viele Eier gesammelt, daß sie hoffen durfte, drei Groschen
dafür zu lösen. Sie nahm deswegen ihr Körbchen und zog damit
zu Markte. Unterwegs, da sie keine Gefährten hatte, fielen ihr allerlei
Gedanken ein, und so dachte sie unter anderem an den Kram, den
sie zu Markte trug; den ganzen Weg über redete sie mit sich selbst
und machte sich folgende Rechnung: „Siehe," sagte sie zu sich, „du
lösest auf dem Markte drei Groschen. Was willst du damit tun?
Du willst damit zwei Bruthennen kaufen; die zwei samt der, die du
hast, legen dir in so und so viel Tagen so und so viel Eier. Wenn
du diese verkaufst, kannst du noch drei Hennen kaufen; dann hast du
sechs Hennen. Diese legen dir in einem Monat so und so viel Eier;
die verkaufst du und legst das Geld zusammen. Die alten Hennen,
welche nicht mehr legen, verkaufst du auch; die jungen fahren fort.