64 Bilder aus der deutschen Geschichte.
Geschäften auch Landban. Die Straßen waren eng, winkelig und düster, dabei gewöhn¬
lich ungepflastert und höchst schmutzig; denn auf den Fuß- und Fahrwegen sammelte
sich aller Unrat, den man aus den Häusern schaffte, und vor den Thüreu waren nicht
selten hohe Düngerhaufen aufgeschichtet. Das verbrauchte Wasser floß mitten auf deu
L-traßen, und wo die Gossen mündeten, entstanden übelriechende Pfützen. Häufig trieben
sich die Schweine auf den Straßen herum. Der Schmutz in den Straßen wurde nur
abgefahren, wenn ein Kirchenfest nahte oder hoher Besuch in Aussicht stand. Auf den
Plätzen der Stadt waren Brunnen, einfache Ziehbrunnen mit Rolle, Kette und zwei
Eimern, von denen der eine in die Tiefe fuhr, wenn der andere heraufgewunden wurde.
Bei dem vorherrschenden Holzban und der mangelhaften Bedachung waren Feuersbrünste
nicht selten. An ein Löschen war kaum zu denken und gar oft machte das verheerende
Element erst an der Stadtmauer Halt. Der Mangel an Luft und Licht, fowie der
Überfluß an Schmutz aller Art förderte die Ausbreitung von Seuchen ganz außerordent¬
lich, wie die Verheerungen beweisen, welche die Pest im 14. Jahrhundert anrichtete.
Beschäftiffung der Bewohner. Wenn auch der Stadtbewohner mit Vorliebe
Ackerbau und Viehzucht trieb, so waren doch deren Haupterwerbszweige Handel und
Gewerbe. Deu Mittelpunkt des Handels bildeten die Märkte und Messen. Die be¬
deutendsten Meßorte waren Frankfurt am Main, Köln, Leipzig, Breslau u. a. Auf
großen Frachtwageu, die gewöhnlich mit 8—12 Pferden bespannt waren, wurden die
Kaufmannsgüter aus den großen Lagern der Meßstädte den einzelnen Orten zugeführt.
Häufig war eine größere Anzahl solcher Frachtwagen zu einem Zuge vereinigt, der zum
Schutz vor den Raubrittern und Wegelagerern von Bewaffneten begleitet wurde. Erst
nach wochenlanger mühfamer Fahrt kam der Kaufmann mit seinen erkauften Waren
zuhause an. — Unter den Künsten blühte vor allem die Baukunst. Zu jener Zeit
entstanden die herrlichen gotischen Dome, die mit ihren hohen Spitztürmen, ihrer
wunderbaren Steinmetzarbeit und den herrlichen Glasmalereien ihrer fpitzbogigen Fenster
noch heute unser Staunen und unsere Bewunderung erwecken. Die hochragenden Pfeiler¬
bündel im Innern mit ihren kunstvollen Wölbungen, ihrem Blätterschmuck und dem ge¬
heimnisvollen Halbdunkel, das den .ganzen Raum erfüllt, erinnern an den deutschen
Wald. Von den Gewerben blühten besonders die Gold- und Waffenschmiedekunst, die
Weberei unb die Holzschneidekunst.
Zunftwesen. Die Hanbwerker hatten sich zu besonberen Zünften (Innungen,
Gilben) zusammengeschlossen, um sich gegenseitig Schutz unb Hilfe zu gewähren. Jebe
,Zunft hatte ihre besonberen Abzeichen, Fahnen unb Bräuche. An ber Spitze staub der
Zunftmeister. Die Zunftgenossen hielten brüderlich zusammen, wohnten häufig in
derselben Gasse (Schustergasse, Seilergasse) und verkehrten in derselben Herberge, die
schort von äußert durch die Zunftabzeichen auch für die Fremden kenntlich war. Sie
hatten ihre gemeinsame Lade, in der die Zunftbücher aufbewahrt wurden, ihren gemein¬
samen Prunkbecher, ja ihre gemeinsame — Totenbahre. Bei Verteidigung der Stadt
kämpften sie als geschlossener Haufen unter ihrem Zunftmeister. Niemand konnte ein
Handwerk treiben, der einer Zunft nicht angehörte. Diese setzte sich zusammen aus
Meistern, Gesellen und Lehrlingen. Um das Handwerk vor Überfüllung zu
fchützen, durfte nur eine bestimmte Zahl von Lehrlingen ausgebildet werden. Hatte
ber Lehrling jeine Lehrzeit beendet, fo würbe er vor „offener Labe" lebig gesprochen
unb erhielt einen zuweilen kunstvoll ausgestatteten „Lehrbrief". Er war jetzt Geselle.
Nachbem der Geselle auf längerer Wanderschaft seinen Gesichtskreis erweitert und
mancherlei Erfahrungen gesammelt hatte, konnte er Meister werden. Er mußte zu
diesem Zwecke ein „Meisterstück" anfertigen. Nachdem dieses durch den „Schau¬
meister" bis ins kleinste geprüft und nicht beanftanbet worben war, erfolgte unter
bestimmten Förmlichkeiten bie Aufnahme bes jungen Meisters in bie Zunft. Der
Hanbwerkerstanb verbankte dieser sorgfältigen Ausbilbung feiner Glieder und der Zucht,
in welcher er feine Angehörigen zu halten wußte, einen großen Teil seiner früheren
Tüchtigkeit.
Die Meistersiiuftcr. Eine besondere Zunft zu erwähnen darf hier nicht ver¬
gessen werden, wenn sie auch nur in einzelnen oberdeutschen Städten zu finden war,
unb bie Zeit ihrer Blüte einer späteren Zeit angehört, nämlich die Zunft der
Meistersänger. In der Blütezeit des Rittertums, namentlich gegen Ende der Kreuz-
züge, erschallte auf den Burgen und an den Höfen der „Mirtnegefang". Gegenstände
des Gesanges waren Frauen-, Gottes- und Herrendienst. Die Sänger waren in der
Regel auch die Dichter. Sie zogen von Burg zu Burg und trugen, von Saitenspiel
begleitet, frei aus dem Gedächtnis ihre Lieder vor. Von Mund zu Mund pflanzten
diese sich fort. Erst als mit der Entartung des Rittertums der Minrtegefartg in Ver-