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52. 
Die Linde. 
Bon Vöhr. 
PlaudcreN», hecausg. v. Vilmar. Marburg und Leipzig 1850. II, 92. 
Eduard, Christian, Amalie und Justine waren in dem Garten 
ihres Nachbars. Der Nachbar grub eine junge Linde aus, die 
nicht mehr ganz klein war. 'Wer von euch will den Baum?' 
fragte der Nachbar die Kinder, — 'es ist ein schöner Stamm!' 
'Ich mag ihn nicht,' antwortete Eduard, 'es wächst ja nichts 
darauf!' ‘D, wenn nichts darauf wächst,' riesen Amalie und 
Christian, 'da wollen wir ihn auch nicht.' 
'Geben Sie den Baum mir,' sagte Justine; 'der Vater soll 
mir ein Plätzchen geben, wo ich ihn pflanzen kann.' 
Justine bekam den jungen Lindenbaum, und ihr Vater wies 
ihr eine Stelle im Garten an, wo sie denselben sich könnte hin¬ 
pflanzen lassen. 
Das Mädchen frcnete sich über ihren Baum und half mit 
allem Eifer ihn pflanzen. 'Ei,' rief sie, Mein schöner Baum!' 
'Bist du nicht eine kleine Närrin!' sagte Eduard, 'der Baum 
trägt dir im Leben kein Obst!' 
'Du giebst uns wohl von deinen Äpfeln und Birnen,' neckten 
sie Christian und Amalie, 'wenn dein Baum wird groß sein?' 
'Was habt ihr doch?' antwortete Justine. 'Wenn der Baum 
auch kein Obst bringt, wenn er nur groß und grün wird, so bin 
ich zufrieden.' 
Der Baum wuchs zusehends. Die Geschwister neckten immer 
noch Justine über den unfruchtbaren Baum; aber der Baum blieb 
ihr sehr lieb. 
Einige Jahre hatte der Baum gestanden, als Justine mit ihren 
Eltern und Geschwistern an einem Sommerabende noch spät im 
Garten war. 
'Was riecht denn hier so lieblich?' sagten die Kinder und zogen 
den süßen Duft mit Wohlgefallen ein. — Sie fragten den Vater, 
woher der schöne Geruch käme. 
'Geht nur an Jnstinens Linde,' antwortete dieser, 'da werdet 
ihr's finden!' 
Die Kinder giengen zur Linde. Je näher sie kamen, je lieb¬ 
licher und stärker roch es. — Es war Jnstinens Linde, von welcher 
der Geruch ausgieng! Der junge Baum hieng überall voll Blüten; 
während des Tags waren die Blüten aufgebrochen, und jetzt durch- 
dnfteten sie den ganzen Garten. 
'O mein schöner, lieber Baum!' rief Justine entzückt; — 'seht 
ihr, er trägt wohl auch etwas, was euch gefällt!' 
Am zweiten Tage war der Nachbar da. Justine führte ihn 
zu ihrem Lindenbäumchen, und ihre Geschwister begleiteten sie.
	        
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