94 VIII. Vom Westfälischen Frieden bis zur Französischen Revolution.
Leopold II.
1790—1792.
Friedrich Wil¬
helm II.
1786—1797.
Religionsedikt.
§ 100.
Josephs II. und Friedrichs II. Nachfolger. Die Teilungen
Polens.
1. In Österreich und auch im Deutschen Reiche folgte Leopold II.
(1790—1792), Josephs Bruder, bisher Großherzog von Toskana.
Obwohl er im allgemeinen gleichen Grundsätzen wie sein Vorgänger
huldigte, so lenkte er doch, um den ererbten Staat vor Auflösung zu
bewahren, in die Bahnen Maria Theresias ein. In Belgien brachte
er zuerst mit bewaffneter Hand die Revolution zum Stillstand, dann
gewährte er den Aufwieglern Amnestie, endlich hob er die verhaßten
Neuerungen auf und stellte die alten Privilegien und Verfassuugs-
eiurichtuugeu wieder her. Ebenso gelang es ihm, durch Nachgiebigkeit
und weise Mäßigung die Ungarn mit sich zu versöhnen. Unter seinem
Sohn und Nachfolger Franz II. wurden auch die letzten Reste der
Josephinischen Reformen zurückgenommen.
2. In Preußen übernahm 1786 Friedrich Wilhelm II. (1786
bis 1797), ein Neffe Friedrichs II., die Regierung. Seine Thron¬
besteigung ward von allen denen mit Hoffnungen begrüßt, welche ver¬
schiedene Einrichtungen Friedrichs, wie die Aceise und die Monopole,
als Druck empfunden und daher mehr mit scheuer Bewunderung als
mit Liebe zu dem großen König emporgesehen hatten. Der neue
Monarch schien durch seine ersten Handlungen: Aufhebung der Regie,
des Tabak- und Kaffeemonopols, Entfernung der französischen Be¬
amten den Erwartungen zu entsprechen. Im Verlause der Regierung
aber bereitete er seinem Volke mancherlei schmerzliche Enttäuschungen.
Es geschah dies durch seinen starken Hang zur Sinnlichkeit und durch
seiue krankhafte Neigung zum Wunderbaren, zur Religionsschwärmerei.
Ersterer verleitete ihn zu einem verschwenderischen Genußleben, zu
einem anstoßerregenden sittlichen Wandel und zur Einführung einer
Günstlingsherrschaft, unter welcher Preußens Ruhm uud Einfluß zu
sinken begannen. Ein Ausfluß seiner Glaubensrichtung war das nach
seinem Minister Wöllner benannte „Wöllnersche Religionsedikt"
(1788), welches dem herrschenden Unglauben zu steuern suchte, das
aber so sehr „jeder Freiheit des Lehrens und Schreibens in Sachen
der Religion eine Schranke setzte", daß selbst der große Philosoph
Kant (in Königsberg) sich bestimmen ließ, seine Vorlesungen über
religionsphilosophische Gegenstände einzustellen. Das Ergebnis der
Regierung Friedrich Wilhelms II. war kein erfreuliches. Das
lockere Leben am Hofe beeinflußte die Sitten der Residenz. Leichtsinn
und Genußsucht nahmen überhand und zu dem in der sog. „Auf¬
klärung" wurzelnden Unglauben gesellte sich pharisäische Heuchelei.