§ 23. Die Kultur des Hellenismus.
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den. Wenn im Zeitalter des Phidias die bildende Kunst sich zur Frei¬
heit in Haltung und Bewegung durchgerungen hatte und die jüngere
attische Schule eines Skopas und Praxiteles zur reizvollen Anmut die
Wiedergabe der Gemütsbewegungen hinzufügte, so bezeichnet die hel¬
lenistische Kunst das Streben, die Wirklichkeit mit realisti¬
scher Treue wiederzugeben. An die Stelle des Erhabenen trat oft
das Pathetische, an die Stelle der Anmut die Eleganz, der stillen Ruhe
die aufgeregte Bewegtheit, des großen Gedankens die Nachahmung,
Erscheinungen, die in der ganzen Geistesrichtung der Zeit ihren Gruud
hatten. Und doch hat diese Periode, in der die Technik über alle Aus¬
drucksmittel verfügte und fast keine Schwierigkeiten mehr kannte, viel
bewunderte und wirklich wertvolle Kunstwerke hervorgebracht. Die be¬
rühmtesten Werke der rhodischen Schule waren der 35 m hohe, m rtiow
eherne „Koloß" des Sonnengottes, von dem allerdings nichts Sä,uIe'
erhalten ist, der „Farnesische Stier", vielleicht auch die Venus
v o n M ilo, vor allem aber, wenn auch erst der Zeit Cäsars angehörig,
bieLaokoongrnppe. Zur Verherrlichung seiner Siege über die an¬
drängenden Kelten (s. S. 110) schenkte Attalns I. vonPergamon^) Die perga.
nach Athen eine Anzahl Weihgeschenke, die den Sieg der Athener über meni|d)e 0cf)Ule
die Amazonen und den Sieg über die Gallier darstellten; sein Nach¬
folger Eumenes II. stiftete den großen Altar des Zeus und der Athene
zu Pergamon, der nach Zusammensetzung der gefundenen Bruchstücke
jetzt das herrlichste Denkmal des griechischen Altertums iu Berlin bildet.
Hinter der Steinarbeit blieb die Erzgießerei nicht zurück; vielleicht ge¬
hört in diese Zeit der B e t e n d e K n a b e (in Berlin), während viele ur¬
sprünglich in Erz gegossene Standbilder jetzt in Marmornachbildung
erhalten sind, wie der Sterbe ndeFechter und die Galliergruppe
(Krieger, der sein Weib und dann sich ersticht); hierher gehört vielleicht
auch der Apollo vom Belvedere (Vatikan).
Der „neue Geist" spiegelte sich auch in der Dichtkunst wieder; nicht Die Dichtkunst
mehr wurden erhabene Stoffe ans der Welt der Religion und des
Patriotismus behandelt (Zeit der Tragödie), nicht mehr gab die Poli¬
tik die Stoffe für Satire und Komödie her (die Ältere und Mittlere Ko¬
mödie), sondern aus dem täglichen Leben mit seinen Sitten und Un¬
sitten, seiner Eleganz und Verkommenheit nahmen die Dichter die Stoffe
für das bürgerliche Lustspiel der „Neueren Komödie", bereit Die Neuere
Hauptvertreter Philemon, ein Zeitgenosse Alexanbers b. Gr., unb ber Äomi)t,ie-
1) Die pergamenische Dynastie geht auf einen gewissen Philetairos zurück, dem
der Diadochenkönig Lysimachos die Obhut eines auf der Burg von Pergamon
(j. Berghama) niedergelegten Schatzes anvertraute. Seine Neffen waren Eumenes I.
nnd Attalus I. (241—197). Um ihrer neuen Dynastie Ruhm und Glanz zu ver¬
schaffen, bemühten sich die Könige von Pergamon eifrigst um die Förderung der
Künste und Wissenschaften (Bibliothek; Pergament).
Schenk-Koch, Lehrbuch der Geschichte. VII. 3. Aufl. 8