Full text: Geschichte des Mittelalters (Teil 2)

Die gotische Baukunst. VI 61—5 
115 
es wird nach oben immer schlanker, immer luftiger und endigt in dem 
Helm (der Pyramide), die ganz aus Maßwerk besteht. Dem Haupt¬ 
turm entsprechend finden die Pfeiler der Strebebogen ihre Krönung 
durch feine Türmchen (Fialen), die Fenster durch ein spitz zulaufendes 
Dach, den Wimperg (die Windberge); zierliche Dächlein (Baldachine) 
schützen die Heiligenfiguren, die überall die Mauerfläche unterbrechen. 
Und alle Teile sind „in ein ewiges Ganzes zusammengewachsen", das 
nach oben weist, als gäbe es keine Schwere, nichts Irdisches mehr. 
4. Großartig ist auch der Schmuck dieser Kirchen. Farbig glasierte 
Ziegel umhüllen das hochragende Dach; mitten auf dem Giebel sitzt 
anstatt des Vierungsturmes ein schmales Türmchen, der „Dachreiter"; 
das Portal überziehen Reliefdarstellungen aus der Heiligen Geschichte. 
Reihen von Standbildern zieren Haupt- und Seiteneingänge. An 
Dach und Strebebogen haften die phantastischen „Wasserspeier"; kleine 
Auswüchse, die „Nasen", „Krabben", „Knollen", scheinen am Dach, 
an den Turmhelmen und Fialen emporzukriechen; den Chor umschließt 
ein Wald von Türmchen und Bildwerken: in der französischen Revo¬ 
lution wurden am Münster Erwins in zwei Tagen 235 steinerne 
Figuren zerstört! 
Im Innern tragen mächtige Pfeiler, die mit den vorgelagerten 
„alten und „jungen Diensten" an einen ehrwürdigen Eichbaum mit 
seinen Schößlingen erinnern, die Gurten des Gewölbes, die kreuzförmig 
dem Schlußstein zutaufen und in der spätgotischen Zeit die Decke wie 
ein Netz überziehen. Durch Pfeilerstellungen sind die Wände, Kanzeln 
und Altäre durch Reliefs und Gemälde geschmückt. Dazu kommen die 
Holzschnitzereien, die Orgel und Chorgestühl bedecken, und die Werke 
der Eoldschmiedekunst, die im Domschatz alter Kirchen und zum Teil 
in Museen aufbewahrt werden: Kronleuchter und Weihrauchgefäße, 
□ Reliquienschreine und Sakramentshäuschen. □ 
5. Mit frommem Eifer haben unsere Altvordern unentgeltlich an 
den herrlichen Gotteshäusern mitgearbeitet; „für der lieben Frauen 
Bau" verpfändeten die Bürger in Freiburg manchmal ihre Häuser 
uni) widmeten regelmäßig das beste Kleidungsstück aus dem Nachlaß 
eines Angehörigen. 
* *Aus Frankreich stammend, ist diese Bauart auf deutschem Boden 
der höchsten Vollendung zugeführt worden. Deutsche Meister haben 
die Kathedrale in Burgos und den Marmordom zu Mailand ge¬ 
schaffen, und die Italiener bezeichneten die fremde Bauweise, weil sie 
8*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.