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I. Aus der Heimat.
Aber mitten unter all den Schrecken einer rauhen Natur schuf er sich
jene trauten Stätten, wo die innigen Regungen seines Gemüts sich entfalten
konnten. Das niedersächsische Bauernhaus in ungefähr derselben Grund¬
anlage, wie wir es jetzt noch vor uns sehen, war der Sammelplatz der Haus¬
genossen und die Stätte ihrer Gemütlichkeit. Es vereinigte den ganzen
Besitz des Sachsen an Vieh und Getreide, seine Familie, seine Knechte und
Mägde, unter seinem gewaltigen Dache. Die mit Lehm ausgeschlagene
Diele ist Tenne und Tanzplatz zugleich; von dem Herde aus übersieht die
Hausfrau die Wirtschaft. Das Haus ist aus Fachwerk errichtet, die Wände
sind drei bis vier Meter hoch, das Dach erhebt sich nicht über zehn Meter.
Auch Schmuck war am Hause angebracht, farbige Verzierungen und
Schnitzereien im Bauholz. Ziergärten am Hause gab es noch nicht; der
Gemüsegarten und der mit allerlei Obstarten ausgestattete Baumgarten
genügten auch dem Schönheitssinne. Allerlei Vieh wurde gezogen, besonders
Kühe und Pferde, in denen die Sachsen auch ihren Tribut an Karl den
Grossen zahlten. Lagen die Wohnungen am See, so gehörte der Einbaum
dazu, auf dem man zum Fischfänge hinausfuhr; lagen sie am Meere, so
durfte das hochhörnige Schiff nicht fehlen, dessen Bugspitze mit einem
Drachenhaupte oder Vogelkopfe geschmückt und das mit nur einem vier¬
eckigen Segel ausgestattet war. Ein bewegliches Steuer an der rechten
Seite lenkte den Lauf. Diese Schiffe entbehrten aller Bequemlichkeit: nicht
einmal der Dänenkönig Heriold, der im Jahre 826 zur Taufe den Rhein
hinauffuhr, kannte den Luxus einer Kajüte. Aber so einfach die Fahr¬
zeuge waren, so dienten sie doch weiten Unternehmungen längs den Küsten
der Niederlande und bis zu den Mündungen der Seine und Loire.
Bei all diesem Streben in die Weite bemerken wir beim Sachsen ein
zähes Festhalten an der Scholle. Im Heiligtume des Hauses entfaltete sich
das niederdeutsche Wesen am reichsten. Hier an der lichten Howand, die
mit den Waffen des Hauses geziert war, mit den kleinen Fenstern, den
Augenthoren, sammelte sich die Familie: die vom stürmischen Meer oder
aus dem Grauen des Waldes heimkehrenden Männer, die Knaben, mit allerlei
nützlicher Arbeit beschäftigt, die Frauen und Mädchen am Webstuhl. Hier
berichteten die Männer am langen, mit Metkrügen besetzten Tische, was sie
Gewaltiges, Übermenschliches, Geheimnisvolles auf ihren Fahrten erlebt
hatten. Hier walteten segensreich die kleinen Erdgeister, Wichtelmännchen
und Zwerge; das Ahnen göttlicher Weltregierung kam hier zum sinnvollen
und bedeutsamen Ausdruck: Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft
und Gottheit ward ersehen an den Werken. P. Piper.
5. Dir Runenschrift.
Sor den lateinischen und deutschen Buchstaben, deren wir uns noch heute
bedienen, besaßen unsere germanischen Vorfahren eigene Schriftzeichen,
die unter dem Namen Runen bekannt sind. Über ihren Ursprung wird nun¬
mehr angenommen, daß sie bei einem südgermanischen Stamme entstanden