62 XVI. Die macedonische und hellenistische Zeit.
Nach Alexanders Tode teilten sich seine Feldherren (Diadoche
= Nachfolger) in sein Reich. Die Geschichte der „SMad ochenreiche"
bildet eine Kette blutiger Kämpfe um das Erbe des Großen, bis
das Weltreich schließlich in viele Einzelstaaten zerfiel, die einander
das Gleichgewicht hielten: Ägypten unter den Ptolemäern, Syrien
unter den Seleuciden und das macedonisch-griechische Reich sind die
bedeutenderen; unter den etwas später entstandenen kleineren Staaten
in Kleinasien stehen Pergamon und Pontos in erster Linie. Alle
diese Staaten lagen fast fortwährenb im Kampfe miteinanber unb
konnten baher von ben Römern leicht unterworfen werben.
Die Alexanberzeit, welche bem Morgen- wie Abenblanbe ganz
neue Gesichtskreise eröffnete, beschäftigte mit ihren alles Maß über-
sfeigenben Riesenplänen unb Taten bie Gemüter ganzer Zeitalter.
Diese leibenschaftliche Erregung spiegelt sich auch in ben Kunst-
erzeugnisjen ber Seit wieber, z. B- auf bem sogenannten Alexanber-
sarkophag. Die Rückseite stellt eine Löwenjagb bar, bie Vorderseite
einen Kampf zwischen Maceboniern unb Persern. Der König selbst
ist an zwei Stellen ber Darstellung im Getümmel ber Schlacht zu
erkennen. Augenblicke voll größter Erregung, kühne Bewegungen unb
Stellungen ber sich krümmenben Menschen unb Schlachtrosse verraten
die Waghalsigkeit ber Zeit unb ihres Herrschers. Das Seiten¬
stück zum Alexanbersarg ist bie Gigantenschlacht auf bem Fries
bes Zeusaltars zu Pergamon, ber 1878 ausgegraben würbe unb jetzt
im Museum zu Berlin aufgestellt ist. Wie sich bie Ungeheuer
wehren unb krümmen gegen bie siegreichen ©öfter! Wie wilb unb
stürmisch alles! Diese Skulpturen atmen eine ganz anbere Stimmung
als bie Büsten ber Perikleischen Zeit, bie einen Sophokles unb
toofrates schuf. Welche Ruhe liegt über biesen Bilbwerken! Welche
Versunkenheit ber Köpfe unb Gestalten in ihre stille, schöne Welt!
Dagegen bort blitzt bas Auge; jeber Augenblick forbert Entscheibung
unb frische Tat. Selbst bie Götter müssen es sich gefallen lassen,
daß sie ber von Alexanbers Taten erhitzte Künstler in Lagen barstellt,
wo etwas Augenblickliches von ihnen geforbert wirb ober ein be-
sonbers hervorstechend Zug statt ber allgemeinen göttlichen Erhaben¬
heit früherer Zahrhunberte an ihnen hervortritt. Das läßt sich an
dem Dichtergott Apollo von Belvebere beobachten, an ber scharf-
blickenben, schnellschreitenben Iagbgöttin Artemis von Versailles (im
Louvre). Dagegen tritt uns in ber herrlichen, schlichten Aphrobite
von Melos (Louvre) noch einmal bie ganze Ruhe unb Innigkeit ber
Praxiteleskunst entgegen.
3n biesem Streben nach Belauschung bes Augenblicklichen unb
Packenben suchen bie Künstler ber Alexanberzeit manchmal gerabezu